Jahrelang tappten die Ermittler im Dunkeln, jetzt sind die Drahtzieher der Polizisten- und der sogenannten Döner-Morde klar - drei mutmaßliche Neonazis. Das Trio war nicht allein, sondern erhielt Unterstützung aus der rechtsextremen Szene. Die Täter fotografierten ihrer Opfer - und drehten Videos mit faschistischen Inhalten. Es sind Spuren in ein weiter verzweigetes braunes Milieu - und die Polizei erhofft sich nun auch Aufklärung über weiterer mysteriöse, ungesühnte Gewaltverbrechen in Deutschland.
Nach der spektakulären Wende im Fall der Polizisten- und Döner-Morde prüfen Ermittler in ganz Deutschland nun mögliche Verbindungen rechtsradikaler Gruppen zu weiteren ungeklärten Anschlägen. Erst am Freitag wurde die Tatwaffe bei einem Bankräuber-Trio aus Sachsen gefunden, das für alle Mordfälle verantwortlich gemacht wird. Jedoch hatten die drei mutmaßlich rechtsextremistischen Drahtzieher offenbar Untertützung.
Ein 37-Jähriger aus Niedersachsen hat den Verdächtigen vor Jahren seinen Personalausweis überlassen. Wie das Nachrichtenmagazin Focus berichtet, soll damit das Wohnmobil angemietet worden sein, in dem sich die zwei Männer am 4. November bei Eisenach laut Polizei erschossen hatten. Mit dem Ausweis des Niedersachsen hatten die Männer auch 2007 ein Wohnmobil gemietet, mit dem sie unterwegs waren, als sie in Heilbronn eine 22-jährige Polizistin erschossen haben sollen. Der Unterstützer aus Lauenau bei Hannover soll ebenso wie die Verdächtigen in Jena geboren und zumindest zeitweise Kontakte in die rechtsradikale Szene gehabt haben.
Der Mann wurde dem Bericht zufolge bereits wenige Stunden nach dem Fund der beiden Leichen von der Polizei in Gewahrsam genommen und verhört. Hinter dem Heilbronner Polizistenmord und den sogenannten Döner-Morden an acht türkischen und einem griechischen Kleinunternehmer in ganz Deutschland steckt wohl die gleiche Gruppe rechtsextremer Täter.
Nach den bisherigen Erkenntnissen hatten die Männer und ihre 36-jährige Gefährtin Beate Z. in den 1990er-Jahren Verbindungen zum rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz". 1998 verschwand das Trio dann aber vom Radar der Verfassungsschützer.
Die Verbindung fanden die Ermittler vergangenen Woche in einem abgebrannten Haus im sächsischen Zwickau, in dem die drei mutmaßlichen Bankräuber jahrelang unerkannt gelebt hatten. Dem Trio gehörten die beiden Männer an, deren Leichen in Eisenach in dem Wohnmobil gefunden wurden, und Beate Z., die sich inzwischen der Polizei stellte. Die Dienstwaffen der Heilbronner Polizisten wurden vor einer Woche in dem Wohnmobil bei Eisenach gefunden.
Fotos von den Opfern
In ihrer Wohnung in Zwickau fanden Ermittler die Pistole, mit der die Döner-Morde verübt worden waren. Zudem entdeckten sie rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppe mit dem Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" und enthalten unter anderem Bilder von Opfern der sogenannten Döner-Morde. Die Bilder zeigten mindestens drei Männer unmittelbar nach ihrer Hinrichtung, berichtete der SWR-Hörfunk unter Berufung auf Ermittlungskreise. Es sei wahrscheinlich, dass die Bilder von den Tätern selbst gemacht worden seien. Die Propagandavideos seien nicht veröffentlicht worden, es seien aber voradressierte Umschläge an verschiedene Medien sowie islamische Vereine gefunden worden, die offenbar zum Versand der DVDs dienen sollten.
Nun untersucht die Bundesanwaltschaft bei weiteren ungeklärten Verbrechen mögliche Verbindungen zu rechtsextremen Tätern, etwa in Nordrhein-Westfalen. "Wir prüfen auch, ob in diesem Zusammenhang weitere Straftaten in NRW begangen worden sind", sagte Innenminister Ralf Jäger (SPD). Nach Informationen der Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung vom Samstag geht es dabei um einen Nagelbombenanschlag in einer überwiegend von Türken bewohnten Straße in Köln im Jahr 2004 sowie um einen Anschlag auf jüdische Aussiedler an einer S-Bahn-Haltestelle in Düsseldorf im Jahr 2000. "Wir gehen allen Hinweisen nach", sagte ein Sprecher des Innenministeriums zu dem Bericht.
Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), sagte der Mitteldeutschen Zeitung: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aus all dem noch ein Verfassungsschutzproblem ergibt." Möglicherweise habe der Geheimdienst mehr über die Hintergründe der Taten gewusst, als bisher bekannt sei.
Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, nannte die Morde an der Polizistin in Heilbronn und an neun ausländischen Ladenbesitzern Terrorismus. "Für mich ist das ein klassischer Fall von home grown terrorists - und zwar über Jahre hinweg", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. In dem gleichen Blatt sprach der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, von "Rechtsterrorismus". "Wir werden in der Türkischen Gemeinde gleich morgen darüber sprechen und entsprechende Protestaktionen starten", wird Kolat zitiert.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erwartet Fortschritte bei den Ermittlungen, nachdem die Tatwaffe gefunden wurde. "Ich bin mir sicher, dass diese Erkenntnisse für unsere bayerischen Ermittlungsverfahren von großer Bedeutung sind und die Ermittlungen dadurch erheblich vorangebracht werden können", sagte Herrmann. "Unsere Ermittler arbeiten jetzt mit Hochdruck weiter."
Zwischen September 2000 und April 2006 waren acht türkische und ein griechischer Unternehmer erschossen worden. Die blutige Spur zog sich quer durch Deutschland: Drei Morde ereigneten sich in Nürnberg, zwei weitere in München, jeweils ein Mord geschah in Hamburg, Rostock, Dortmund und Kassel. Benutzt wurde immer dieselbe Waffe, eine tschechische Pistole der Marke Ceska.
Vor dem Hintergrund dieser Verbrechen durch mutmaßliche Neonazis warnt der niedersächsische Verfassungsschutz vor einer völlig neuen Qualität rechtsextremistischer Gewalt. "Wenn sich der Verdacht bestätigt, haben wir es mit dem schlimmsten Fall rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu tun", sagte der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel der Neuen Osnabrücker Zeitung. Manche Beobachter sprechen gar von einer Braunen-Armee-Fraktion.
Den Sicherheitsbehörden sei zwar bekannt gewesen, dass Rechtsextremisten gut mit Waffen und Sprengstoffen ausgerüstet seien. Konkrete Hinweise auf gezielte Morde habe es bislang aber nicht gegeben. "Angesichts dieser völlig neuen Qualität ist es durchaus gerechtfertigt, hier von rechtsterroristischen Taten zu sprechen", sagte Wargel.
Proteste gegen Rechts gab es am Samstag bereits im brandenburgischen Neuruppin - weil die rechtsextreme NPD dort ihren Bundesparteitag abhielt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) hatte am Freitag die Veranstaltung in letzter Instanz genehmigt. Die Stadt wurde verpflichtet, den Rechtsextremisten den Tagungsort zu vermieten.