James K. Galbraith, Professor an der University of Texas/USA fasst den
erlebten Finanzkrieg, der zur größten Wirtschaftskrise nach 1945 in den
westlichen Industrienationen führte, so zusammen: »Im vergangenen
Jahrzehnt hat der Raubtier-Staat auf besonders dramatische Weise im
Finanzsektor Fuß gefasst. Regulierung wurde zerstört. (…) Im Endergebnis
wurde dieser Sektor überrannt von den aggressivsten Vertretern der
Kunst, fragwürdige Hypotheken aufzulegen. Sie wurden den Kunden
angedreht, die Gebühr eingesteckt, dann weiterverkauft gegen eine
weitere Gebühr. Sie wurden verpackt, mit dem Weihwasser quantitativer
Risikomanagement-Modelle benetzt und mit dem höchsten Rating AAA
gesegnet. Wenn das kriminell klingt, hat das einen Grund: Es war
kriminell.« (Handelsblatt vom 30/31. Juli 2010)
Das sagt ein liberaler Wirtschaftswissenschaftler, der den Kapitalismus
nicht abschaffen, sondern vor sich selbst schützen möchte.
Nachdem auf dem ersten Treffen in Frankfurt am 3. Juli 2010 einstimmig
beschlossen wurde, den Aktionsaufruf der AG Georg Büchner in die Tat
umzusetzen, wurde ein Koordinierungskreis mit der Durchführung einer
bundesweiten Aktionskonferenz betraut. Dieser hat eine Stellungnahme
verfasst (›Die Verursacher und Profiteure der Krise blockieren‹),
die neben der politischen Begründung den Ablauf der Aktionskonferenz am
21. August in Frankfurt/Studierendenhaus der Johann Wolfgang
Goethe-Universität in groben Zügen vorstellt.
Die ›AG Krise‹ wird die Fragen zu beantworten versuchen: Warum
wurde der Banken- und Finanzsektor für diese Aktion aussucht? In welchem
Verhältnis steht dieser Sektor zu anderen Sektoren dieses
Wirtschaftssystems (Industrie/Produktion)? Welche Macht kommt ihm zu,
welche Macht (bleibt) der jeweiligen Regierung? Trifft der Filmemacher
Hubert Seipel (Regisseur des Portraits ›Die Welt des Josef Ackermann‹)
den Nagen auf den Kopf, wenn er mit Blick auf die gegenwärtige
Bundeskanzlerin lapidar feststellt: ›Sie dachte, sie sei an der Macht,
dabei ist sie nur an der Regierung.‹?
Die ›AG gesellschaftliche Kämpfe/Perspektiven‹ wird in einem ersten Teil die verschiedenen Aktionen und Akteure des ›heißen Herbst‹ vorstellen: Was ist am ›Bankenaktionstag‹
am 29. September, getragen von ATTAC und Krisenbündnis, geplant und
machbar? Was wird rund um Gorleben vorbereitet, wenn der Castortransport
im November nicht nur radioaktiven Müll mit sich führen wird, sondern
die rechtsbrecherische Absicht der Bundesregierung, das Atomprogramm
koste was es wolle fortzuführen? Was verbirgt sich hinter dem pfiffigen
Slogan: ›Schwellenängste abbauen – Gemeinsam zum Zug kommen – CASTOR 2010‹?
Womit kann, womit muss man rechnen, wenn die Gewerkschaftsspitze dazu
aufruft, die Betriebe zu mobilisieren, mit dem Ziel, in und aus
Betreiben heraus gegen das Verarmungsprogramm der Bundesregierung zu
protestieren? Was geht zusammen, was geht überhaupt nicht? In diesem
Kontext wird auch ein Manifest vorgestellt, dass die hier angerissenen
Aktionen nicht in Konkurrenz, sondern in Verbindung zueinander begreift.
In einem zweiten Teil möchte die AG strategische, grundsätzliche Fragen diskutieren:
Ist das Konzept der massenhaften Blockaden ein/der Ausweg aus einer
statisch gewordenen Situation (kleiner schwarzer Block – große
Demonstrationen der Ohnmächtigkeit)? In welchem
ambivalent/konfliktreichen/produktiven Verhältnis stehen z.B. die Partei ›Die Linke‹
und soziale Bewegungen? Ist es notwenig oder gar an der Zeit, dass sich
soziale Bewegungen eigenständig organisieren, um spontanen und lokalen
Umständen weniger ausgeliefert zu sein?
Die ›AG Internationalismus‹ wird sich den Fragen stellen: Was
ist so anders in Italien, Frankreich, Spanien oder Griechenland? Und:
Wie weit gehen die Herrschenden, um die Verarmungsprogramme
durchzusetzen? In Griechenland wurde die Armee gegen die streikenden
Transportunternehmer eingesetzt, nachdem diese eine Hauptschlagader der
griechischen Wirtschaft getroffen hatten. Blieb dieser Streik ohne
Unterstützung, weil es sich hier um privilegierte Kleinunternehmer
handelte?
Gibt es politische Konzepte, die Mut machen, einen neuen Horizont
eröffnen? Welche Organisationsformen sind notwendig und an welche
politischen Grenzen stoßen sie? Fehlen (hier) nur die Millionen oder
(auch anderswo) die Visionen?
Diese und weitere Arbeitsgruppen werden parallel stattfinden. Im
Mittelpunkt der Aktionskonferenz wird – nach einer Mittagpause - ein
gemeinsames Plenum stehen, das das Blockade-Belagerungskonzept
vorstellt, diskutiert und beschließt.
Ziel ist es, muss es sein, die bisherigen UnterstützerInnen und
Trägerinnen des Aktionsaufrufes zu aktiv Beteiligten zu machen und neuen
Gruppen und Organisationen die Möglichkeit zu geben, sich an der
Umsetzung und Durchführung des Tag X zu beteiligen.
Unschwer zu verheimlichen sind Umstand und Reiz des Vorhabens: Es
handelt sich nicht um eine Demonstration (in der Freizeit) von A nach B.
Eine solche wird angemeldet, ist berechenbar und in aller Regel mit der
Polizei und Ordnungsbehörde (in so genannten Kooperationsgesprächen)
abgesprochen. Läuft alles nach Plan meldet die Polizei einen
störungsfreien Verlauf und keine Behinderungen.
Die Belagerung einer Schaltzentrale des Finanzsektors wird sich
verständlicherweise nicht an dieses Drehbuch halten. Man muss davon
ausgehen, dass an diesem Tag der vierten Rettungsschirm aufgespannt
werden wird – nach dem finanziellen (die Verstaatlichung von
Milliardenverlusten von Privatunternehmen), dem strafrechtlichen
(Totalamnestie/Straffreiheit), dem gesellschaftlichen (Umkehrung des
Verursacherprinzips), wird man damit rechnen müssen, dass die Polizei
damit beauftragt sein wird, all dies zu schützen, durch ein massives
Polizeiaufgebot, durch die Verhinderung der Absicht, die Verursacher und
Profiteure dieser Krise zur Kasse zu bitten.
Aller Erfahrung nach werden sich die genauen Bedingungen vor Ort, am Tag
X erst wenige Stunde vor der Aktion genau bestimmen und einschätzen
lassen. Das verlangt hohe Flexibilität, Mobilität und einen gut
organisierten Grad an Überraschungsfähigkeit.
Das heißt: Man wird auf der Aktionskonferenz den Rahmen abstecken
können, den Aktionskonsens verbindlich und für alle kalkulierbar machen
und die Optionen umreißen können, die im Rahmen dieses Aktionskonzepts
möglich sind. Wie reagiert man auf eine Situation, in der es
aussichtslos erscheint, an den gewählten Ort zu kommen? Welche
Möglichkeiten ergeben sich, wenn die erhofft Vielen um 6 Uhr morgens
zusammengekommen sind? Welche Handlungsmöglichkeiten ergeben sich, wenn
man weniger ist? Setzt man alles auf eine Karte oder setzt man auf ein
Quartett an Möglichkeiten?
Aus all diesen hier genannten Gründen wird der Koordinierungskreis die
Bildung eines Aktionsrates vorschlagen, der mit dem Vertrauen und dem
Mandat ausgestattet ist, am Tag X im Rahmen dieser Möglichkeiten zu
entscheiden.
Erfahrungsgemäß wird vieles, was am Tag X möglich sein wird, vorher
entschieden. Welche politische Unterstützung hat das Vorhaben? Gelingt
es im Vorfeld, die Legitimität dieser Aktion zu untermauern, den Ruf
nach legaler Wirkungslosigkeit und rechtlich einwandfreier
Ohnmächtigkeit im Hohn zu ersticken? Ist es möglich, den
›Bankenaktionstag‹ am 29. September in das Konzept einzutakten?
Was von all dem umzusetzen ist, was im Koordinierungskreis vorbereitet
und auf dieser Aktionskonferenz vorgestellt werden soll, wird von der
Beteiligung aller abhängen. Die Ohnmächtigkeit und Symbolik des
bisherigen Protestes zu kritisieren ist einigermaßen leicht. Die
Unzufriedenheit darüber zu äußern, stößt auf viele offene Ohren. Nun
entscheidet es sich, ob dieser Unzufriedenheit Untätigkeit und
Resignation folgt oder die Bereitschaft, das Risiko gemeinsam
einzugehen, die Symbolik hinter sich zu lassen.
Um all das Gesagte und Verabredete in einem Testlauf auf die Strasse zu bringen, ist im Anschluss danach eine ›Blockade zur Probe‹ vorgesehen. Sie wird rechtzeitig (auch für die Presse) angekündigt.
Auf dass sich der Wind dreht und die Angst die Seite wechselt.
Der komplette Aufruf und viele Informationen mehr sind auf der neuen Homepage nachzulesen: http://www.georg-buechner.org