„Linksautonome Angriffe gegen Rechte schützen nicht die Demokratie“

Als am 12. Januar 2015 die islamfeindliche Legida-Bewegung mit 4800 Teilnehmern die erste große Kundgebung in Leipzig aufzog. Zum harten Kern der Gegendemonstranten gehörte auch der schwarze Block der linksautonomen Szene aus Connewitz.
Erstveröffentlicht: 
15.07.2017

Chemnitzer Politikwissenschaftler zu rechtsfreien Räumen in Leipzig, Rathaus-Politik und Polizeistellenabbau

 

Leipzig. Im Streit um stärkere Restriktionen gegen die linke Szene in Leipzig-Connewitz und um Vorwürfe gegen die Politik der Stadt plädiert der Chemnitzer Politikwissenschaftler Tom Mannewitz dafür, einen Kurs in der Mitte zu fahren.


Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz spricht von rechtsfreien Räumen in Leipzig-Connewitz. Hat er recht?


Da ist was dran. Natürlich ist Connewitz weit davon entfernt, sich jeder staatlichen Kontrolle zu entziehen. Aber die Linksautonomen sind nicht weit weg von ihrem Ziel autonomer Freiräume, die sie nicht nur verteidigen gegen Rechtsextreme, sondern auch gegen das, was sie als staatliche Repression begreifen, nämlich Polizei und Sicherheitsbehörden. Gerade in den vergangenen beiden Jahren war das zu beobachten. Aber auch, dass Rechtsextreme die gewalttätige Auseinandersetzung mit den ansässigen Linken, überhaupt mit dem Stadtteil suchen konnten, zeigt, dass Connewitz auf dem Weg zu rechtsfreien Räumen ist.


Hat die Politik in Leipzig, hat das von SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung geführte Rathaus zu lange weggeschaut?


Was diese autonomen Freiräume anbelangt, so sind die Erfahrungen in den verschiedenen Städten ganz unterschiedlich. Die SPD in Leipzig hat einen non-konfrontativen Kurs gefahren. Das hat dazu geführt, dass die Linksautonomen in Connewitz schalten und walten konnten, wie es ihnen gefiel. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass eine auf Härte setzende „Law-and-order“-Strategie besser wirken muss. Ich halte es für zielführender, einen Kurs in der Mitte zu fahren. Wenn es um Gewalt geht, müssen rote Linien gezogen werden. Das wurde in der Vergangenheit womöglich versäumt. Aber die Leute in Connewitz nun völlig einzugrenzen, wäre für eine Demokratie auch nicht passend.


Waren die Linken von Connewitz nicht letztendlich auch das ideale Bollwerk der Bürgerschaft gegen die islamfeindliche Legida-Bewegung?


Das Beispiel Leipzig, aber auch die Proteste gegen rechtsextreme Demos anlässlich des Jahrestags von Dresdens Bombardierung 1945 haben gezeigt, dass es die linke Szene schaffen kann, solche Demonstrationen zu verhindern. Ob das aber ein Siegeszug für die Demokratie ist – da bin ich doch skeptisch. Wenn Linksautonome gegen Rechte zu Felde ziehen – gewalttätig oder nicht gewalttätig – schützt das ja nicht die Demokratie. Sie bekämpfen den politischen Feind, um ihn mundtot zu machen. Außerdem geht es ihnen – anders als vielen anderen Gegendemonstranten – dabei ja nicht um die Verteidigung der Demokratie. Wir haben es mit einem Protest zu tun, der in Konfrontationsgewalt mündet und bei dem sich die beiden Extreme aufschaukeln. Das aber ist für eine Demokratie eine höchst problematische Sache.


Andersherum gefragt: Wenn in Dresden die linke Szene stärker gewesen wäre, hätte das dann womöglich auch Pegida früher gestoppt?


Nein, davon bin ich nicht überzeugt. Dafür waren Wut und Frust der Pegidianer zu groß. Wenn die Linke bei den Pegida-Demonstrationen stärker interveniert hätte, dann wäre es nicht zu einem Abflauen gekommen, sondern die Teilnehmer hätten sich nur in ihrem Weltbild bestätigt gefühlt und dort weiter eingeigelt.


Hat der Freistaat Sachsen zu lange bei den Polizeistellen gespart?


Eindeutig ja. Nicht nur mit Blick auf linksradikale Krawalle. Innere Sicherheit ist die Kernaufgabe jedes Staates, auch die des Freistaates Sachsen. Wenn man sich vor Augen hält, wie Sachsen in den vergangenen Jahren bei der Polizei gespart hat, dann ist das kein Prozess, den man gutheißen kann. Es braucht keinen Polizeistaat, aber der Staat sollte in der Lage sein, die öffentliche Ordnung in allen Teilen des Landes – auch in den ländlichen Bereichen – durchzusetzen.


Das Problem schwelt ja bereits eine ganze Weile?


Wir haben es jetzt gesehen bei der Auseinandersetzung mit Linksautonomen, aber auch schon davor in den vergangenen 20 Jahren bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen. Die konnten zum Teil auf dem Lande machen, was sie wollten, weil es eine Stunde dauerte bis der nächste Polizeiwagen anrollte. Da beginnt jetzt langsam ein Umdenken, aber zu spät und auch zu dünn.


Stehen die linken Clubs – wie einige CDU-Politiker fordern – nach Hamburg nun stärker in der Verantwortung, zu prüfen, wem sie ihre Türen öffnen?


In der Verantwortung steht letztlich jeder, der eine öffentliche Einrichtung betreibt. Natürlich betreiben Leute diese Clubs, die mit der Szene sympathisieren. Ich glaube aber auch nicht, dass man mit einem konfrontativen Kurs weiterkommt. Nach dem Motto: „Ihr steht in der Verantwortung. Seht zu, dass hier keine Linksextremen kommen.“ Das führt nur zu einer ideologischen Verhärtung.


Aber es gibt ja zum Teil auch Fördergelder für diese Einrichtungen.


Natürlich. Das versetzt die Stadt Leipzig ja in die Lage, einige Bedingungen dafür zu diktieren. Nämlich die angesprochenen roten Linien stärker durchzusetzen, also, wenn es zu Gewalt kommt.


Wie geht es mit der linken Szene nach den Ereignissen von Hamburg weiter?


Ich fürchte schon, dass von den Ereignissen in Hamburg ein gewisser Impuls ausgeht. Nicht zuletzt wegen der immensen medialen und gesellschaftlichen Resonanz. Die Szene hat gesehen, dass sie in der Lage ist, eine Präsenz über Tage und Wochen aufrechtzuerhalten. Es gab ein Echo in weiten Teilen der Gesellschaft – und nicht nur in Hamburg, sondern europaweit. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass das, was wir in Hamburg gesehen haben, nur ein Symptom stärkerer Vernetzung und Gewaltbereitschaft ist.


Rechnen Sie demnächst mit weiteren Eskalationen?

 

Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass der Wille, körperliche Gewalt gegenüber Personen auszuüben, gewachsen ist. Damit hat sich die linke Gewaltstruktur an die rechte angeglichen. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass die Szene nun noch gewalttätiger wird. Aber von Hamburg geht ein gewisser Ermutigungseffekt in diese Richtung aus. Wie groß er sein wird, muss man sehen. Das hängt sicherlich auch davon ab, ob wieder so ein symbolträchtiges Ereignis wie ein G-20-Gipfel ausgerichtet wird.


Interview: Roland Herold