Explosion: Die nächste „neue Stufe“

Erstveröffentlicht: 
16.06.2010

Parteipolitische Kraftmeierei, Ruf nach schärferen Gesetzen und die Diskreditierung von notwendigen Protest: Der Bundestag hat einmal mehr über linke Gewalt diskutiert

 

Tom Strohschneider

 

Die Druckwellen der Explosion auf der Berliner Krisendemo haben die Bundespolitik erreicht: Nachdem am vergangenen Samstag mehrere Polizisten durch einen Sprengsatz verletzt wurden, hat sich am Mittwoch das Parlament mit dem Fall beschäftigt. Die Unionsfraktion hatte die Extra-Aussprache durchgesetzt – und ihr Ablauf konnte niemanden überraschen. Alle Fraktionen distanzierten sich klar von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Aus dem schwarz-gelben Lager wurde der Ruf nach mehr Anstrengungen gegen Linksextremismus laut. CDU, CSU und FDP nahmen die Linkspartei aufs Korn, um die Sozialdemokraten zu treffen. Und von den rot-rot-grünen Bänken aus wurde vor „purem Aktionismus“ und dem unsinnigen Rufen nach Strafverschärfungen gewarnt.

 

Besonders viele Abgeordnete hat die Runde allerdings nicht interessiert: Der Bundestag war fast leer. Kein Wunder, denn über die angeblich wachsende Bedrohung durch den „Linksextremismus“, die mit teils fragwürdigen Statistiken über brennende Autos und Gewalt gegen Polizisten „belegt“ wird, hat das Parlament in diesem Jahr schon mehrfach debattiert. Dazu trug nicht zuletzt die Ankündigung von Familienministerin Krisitina Köhler bei, die Bundesprogramme gegen allerlei Formen des "Extremismus" neu auszurichten.

 

Nicht zu rechtfertigen

Dennoch standen am Mittwoch vor allem die dürftig besuchten schwarz-gelben Sitzreihen im Kontrast zu einem sicherheitspolitischen Alarmismus, den Koalitionspolitiker seit dem Wochenende an den Tag legten. Was drohte da nicht schon wieder alles. Von einem „Comeback des linken Terrors“ war die Rede, von einer „neuen Stufe der Gewalt“ – wieder einmal. Man wolle natürlich nichts herbeireden, hieß es stets. Und der nächste Satz begann dann mit einem großen Aber.

Dabei ist über den „Sprengstoffanschlag“ und seine Urheber bisher kaum etwas bekannt. Um nicht missverstanden zu werden: Einen manipulierten Böller in eine Menge zu werfen und dabei erhebliche Verletzungen von Menschen in Kauf zu nehmen, ist weder zu rechtfertigen noch zu beschönigen. Es geht manchen, die das jetzt skandalisieren, in Wahrheit um etwas ganz anderes: um parteipolitische Kraftmeierei, den Ruf nach schärferen Gesetzen und die Diskreditierung von notwendigen Protest.

 

Man kann den CSU-Abgeordneten Uhl als Beispiel nennen. Der hatte schon im Vorfeld angekündigt, in der aktuellen Stunde des Bundestags müsse auch „das Versagen des Berliner Innensenators eine Rolle spielen“. Hätte Uhl das auch so formuliert, wenn ein Unionskollege dieses Amt inne haben würde? Und worauf läuft der Vorwurf des „Versagen“ in diesem Fall hinaus, wenn nicht auf die Forderung, härter und ohne konkreten Verdacht gegen wen auch immer durchzugreifen? Uhl hat schon einen Vorschlag parat: In der Debatte am Dienstag holte er gegen Verdi aus, weil die Gewerkschaft die Berliner Demonstration unterstützt hat – und sich damit, so die Logik des Bayern, quasi der Beihilfe schuldig gemacht haben soll.

"Totale Isolierung"

 

Welchen Weg dieses Denken in der Konsequenz nehmen könnte, führt Wolfgang Bosbach von der CDU vor. Der hat inzwischen die „totale Isolierung“ des „schwarzen Blocks“ gefordert – wen auch immer er damit genau meint. Differenzierung ist aber die Sache Bosbachs ohnehin nicht. „Wer diese Straftäter mitmarschieren lässt, bietet ihnen zumindest unfreiwillig Deckung.“ Damit stehen praktisch schon im Voraus alle Teilnehmer fast jeder linken Demonstration in der Kritik: die einen, weil sie an einer bestimmten Stelle mitlaufen; die anderen, weil sie das geschehen lassen. Bosbachs Lösung: Der „schwarze Block“ solle sich künftig nur noch isoliert vor oder hinter einem Demonstrationszug aufhalten dürfen, damit die Polizei leichter Straftaten verhindern oder Täter fassen könne. Als ob die Begleitung von "schwarzen Blöcken" durch engstes Polizeispalier und durchgehende Videoaufzeichnung nicht längst die Regel wäre.

Grundrechtsfreunde der besonderen Art gibt es auch in anderen Parteien. Berlins Innensenator Erhart Körting zum Beispiel hat die Berliner Detonation zum Anlass genommen, den Verfassungshütern in Karlsruhe eines mitzugeben. Deren in der vergangenen Woche ergangene Entscheidung, die den ausufernden Vorkontrollen bei Demonstrationen Einhalt gebietet, sei allenfalls „für den badischen Raum von Relevanz“, keilte der SPD-Mann. „Was wir an Straftaten in Berlin und Hamburg erleben, rechtfertigt Vorkontrollen.“ Körtings Argument: Wenn Demoteilnehmer nicht verdachtsunabhängig nach Waffen durchsucht werden könnten, könne man auch nicht für die Sicherheit von Polizei und Demonstranten garantieren. „Man kann nicht alles haben“, wird der Sozialdemokrat zitiert – dann müsse Karlsruhe eben über Demonstrationsverbote nachdenken.

Was für eine Alternative! Entweder wird die Versammlungsfreiheit eingeschränkt – oder die Versammlungsfreiheit wird eingeschränkt.