Historiker über AfD-Machtkampf "Deutliche Tendenz zur Radikalisierung"

Erstveröffentlicht: 
12.04.2017

Der Historiker Volker Weiß gilt als einer der besten Kenner der rechten Szene in Deutschland. Im stern-Interview analysiert er den Richtungskampf in der AfD. Er ist überzeugt: Trotz zuletzt sinkender Umfragewerte ist es viel zu früh, die Partei abzuschreiben.

 

Herr Weiß, jahrzehntelang sind alle Versuche, rechts von der Union eine einflussreiche politische Kraft zu etablieren, gescheitert. Kann der AfD dies gelingen? Und was unterscheidet sie von Parteien wie NPD, DVU oder Republikanern? 

 

Die AfD ist eine Sammlungsbewegung, in der sich christlich-fundamentalistische, rechtspopulistische, nationalkonservative und völkisch-nationale Kräfte zusammengeschlossen haben. Zur Gründungszeit war zudem ein starker nationalliberaler Einfluss vorhanden, der aber mit der Abwahl von Bernd Lücke weitgehend bedeutungslos wurde. Doch auch ohne diesen verschafft ihr diese Mischung eine breitere Basis, als sie andere Parteien vorher erreichen konnten. Zum Erfolg führte diese Mischung dann eine breite Verunsicherung der Bevölkerung durch globale Krisen. Erste Anzeichen für eine gesellschaftliche Basis für rechtspopulistische Inhalte waren bereits während der Debatte um Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" zu erkennen.

 

Zuletzt gingen die Umfragewerte für die AfD deutlich zurück. Hat die Partei den Höhepunkt ihres Erfolges möglicherweise schon überschritten?


Die AfD wurde schon einmal, nach dem Abgang ihres Gründers Lücke, totgesagt. Daher warne ich davor, die Partei abzuschreiben. Sie lebt zu stark von äußeren Faktoren, die sie skandalisieren kann: Währungskrise, Flüchtlingskrise, Homo-Ehe, Genderdebatten. Da springt sie drauf und bringt die Gefühle in Wallung. So etwas kann sehr langlebig sein. 

 

Die derzeitige Schwäche der AfD bestätigt allerdings, wie wenig sie aus sich heraus lebensfähig ist, wenn diese Energiezufuhr von außen fehlt. In sich ist sie tief zerstritten.

 

Wie beurteilen Sie den Richtungskampf in der AfD? Wer wird sich am Ende durchsetzen: der rechtskonservative Flügel um Frauke Petry, der möglichst bald in Koalitionen mitregieren will – oder der nationalistisch-völkische Flügel um Alexander Gauland und Björn Höcke, der auf Fundamentalopposition setzt?


Es zeigt sich eine deutliche Tendenz zur weiteren Radikalisierung. Mittlerweile hat sich in Sachsen eine Rechtsopposition gegen Frauke Petry organisiert. Es war nicht möglich, den völkisch-nationalen Flügel um Björn Höcke in Thüringen und Andre Poggenburg in Sachsen-Anhalt abzustoßen. Diese Leute verfechten nicht nur haarsträubende vergangenheitspolitische Thesen, sondern kooperieren auch mit dem "Institut für Staatspolitik" in Schnellroda, einer Kaderschmiede der äußersten Rechten. Dort schwärmt man für italienische "Faschisten des dritten Jahrtausends" und den "Sieg-Heil"-brüllenden Richard Spencer der US-amerikanischen "Alternative Right". Das dürfte auf manche Wähler ebenso abschreckend wirken wie die Zusammenarbeit mit der identitären Bewegung, die trotz eines anders lautenden Parteibeschlusses stattfindet.

 

Wo kann diese Radikalisierung hinführen?


Wird dieser Kurs beibehalten, so käme am Ende letztlich eine "Lega Ost" oder NPD 2.0 heraus – mit entsprechender Wählerschaft. Es ist allerdings auch möglich, dass sich die Begeisterung der Partei für Donald Trump nachteilig auswirkt. Sie könnte potenziellen Wählern vor Augen führen, was am Ende bei dieser Radikalisierung herauskommt. Solange aber das Bürgertum seine Contenance nicht wiederfindet, hat die Partei in den Wutbürgern eine stabile Basis.

 

Können "Fundis" und "Realos" in der AfD zusammen bleiben oder muss es nicht unweigerlich zur Spaltung kommen, weil beide Ansätze langfristig unvereinbar sind?


Die Konfliktlinien sind sogar noch verworrener, wenn sie an das schlechte Verhältnis zwischen den beiden Bundesvorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen denken. In meinen Augen beruhen die Konflikte zwischen den Flügeln einerseits auf strategischen Differenzen und andererseits auf persönlichen Animositäten. Perspektivisch geht es darum, ob sich die Partei weiter in permanenten Provokationen ergehen will oder auch ein anderes, konstruktiveres Profil anstrebt. Zudem gibt es unterschiedliche sozial- und wirtschaftspolitische Vorstellungen. Da steht ein national-sozialer Populismus gegen marktradikale Vorstellungen. In anderen Fragen sind die Differenzen minimal. Der zentrale Gedanke der von Höcke geforderten "erinnerungspolitischen Wende" etwa findet sich genauso im Grundsatzprogramm der Partei. Oder denken Sie an Petrys Vorstoß, den Begriff des "Völkischen" zu rehabilitieren.

 

Die radikale Rechte war in der Bundesrepublik lange Zeit ein eher subkulturelles Phänomen. Muss man davon ausgehen, dass sie nie wieder in dieser Subkultur verschwinden wird, selbst, wenn die AfD scheitert? Denn rund um die AfD hat sich längst eine breit gefächerte rechte Gegenöffentlichkeit etabliert, mit eigenen Internetportalen und Denkfabriken und einer neuen Form von Straßenmobilisierung in Wutbürger-Bündnissen wie "Pegida".


In der Tat müssen wir damit rechnen, dass die radikale Rechte nicht wieder in der subkulturellen Nische verschwinden wird. Zumal diese subkulturelle Phase aus historischer Perspektive eher die Ausnahme als die Regel war. Der Glaube, extrem rechte Weltanschauungen kämen nur in der Unterschicht vor, war reine Selbstberuhigung des Bürgertums. Es macht aber durchaus einen Unterschied, ob Sie nur ein ressentimentgeladenes Milieu haben, oder ob dieses organisiert ist und gar parlamentarischen Einfluss ausüben kann. Daher steht und fällt für die deutsche Rechte viel mit der AfD.

 

Könnte die Union Teile der AfD-Anhängerschaft wieder zurückgewinnen?


Allenfalls wäre es möglich, dass Teile dieses Milieus von einer nach rechts gerückten CDU wieder eingefangen würden. Dann stünde die CDU aber umgehend vor dem Dilemma, die urbanen Wählerschichten zu vergraulen, auf die man es mit der Modernisierung nach Helmut Kohl abgesehen hatte.