6. und 7. Verhandlungstag im Prozess gegen die „Gruppe Freital“

Am Ende hat wieder keiner was gewusst

Dokumentation des Prozessberichtes aus der Sicht der Nebenklage

Der heutige Hauptverhandlungstag startete mit der Bekanntgabe einer E-Mail der Justizvollzugsanstalt in der einige der Angeklagten untergebracht sind an das Gericht. Der Angeklagte Seidel habe mitgeteilt, dass der Angeklagte Schulz jemanden suche, der dem teilgeständigen Angeklagten S. gegen Geld „die Zähne ausschlage“.

 

Erstaunlicherweise verzog der Angeklagte Schulz während der Bekanntgabe dieser E-Mail an die Verfahrensbeteiligten keine Miene, was zumindest erahnen lässt, dass an den Vorwürfen gegen ihn etwas dran sein könnte. Jedenfalls passt diese Reaktion von Schulz in das Bild, das der Angeklagte Justin S. während seiner Einlassung von Schulz zeichnete und der bereits früher Mitbeschuldigte wegen belastender Aussagen aus dem Weg habe schaffen wollen.

 

Der heutige Hauptverhandlungstag startete sodann mit der Fortsetzung der Vernehmung des OAZ-Beamten vom vergangenen Mittwoch. Der Zeuge hatte den Inhalt des PC des Angeklagten Weiß ausgewertet. Auch er nutzte die mittlerweile negativ bekannt gewordene Schlagwortliste. Da diese Liste jedoch nur auf Textdateien anwendbar ist, musste er sich die auf dem Rechner vorhandenen Sprachnachrichten anhören und hielt die, die ihm als relevant vorkamen, in einem Vermerk fest. Erneut fiel auf, dass auch bei dieser Auswertung die Tatmotive keine besondere Rolle spielten. Die Sprachnachrichten wurden nach der Einvernahme des Zeugen vorgespielt. Der Angeklagte S. benannte zumindest die Angeklagten Festing und Kleinert als Urheber einiger der Nachrichten. In den Sprachnachrichten wurde unter anderen darüber gescherzt, dem Angeklagten Schulz Buttersäure in die Wohnung zu kippen, um zu testen, wie diese in geschlossenen Räumen wirke. Daneben war aber auch zu hören, wie man sich darüber unterhielt, linke DemonstrantInnen „wegzustürmen“, Autos anzuzünden und sich über die Geschädigten des Sprengstoffanschlags in der Bahnhofsstraße belustigte, als man diese unmittelbar nach der Tat auf der Straße stehen sah.

 

Zwei weitere Tatzeugen die eigentlich zum Thema fremdenfeindliche Graffiti geladen waren, machten erwartungsgemäß von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch, weil gegen Sie auch im Zusammenhang mit der Gruppe Freital ermittelt wird. Dabei wurde deutlich, dass die Bundesanwaltschaft gegen weitere Personen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und nicht bloß wegen Unterstützung ermittelt, so auch gegen den heute geladenen Zeugen Dirk Abraham, einen NPD-Stadtrat aus Freital. Ein möglicher Grund hierfür könnte die Aussage des Angeklagten S. sein, in der er diesen schwer belastet und als Mitglied der Gruppe bezeichnet hatte.

 

Im weiteren Verlauf wurden zwei Polizeibeamte der Polizeiinspektion Freital zum Zustand des gesprengten Autos eines Freitaler Stadtrats der Partei die DIE LINKE gehört. Die beiden beschrieben die zerstörerischen Folgen bzw. die Wirkung der Explosion.

 

Als letzter Zeuge wurde ein ehemaliges Mitglied der Bürgerwehr Freital vernommen. Dieser hatte nach dem Angriff auf ein Fahrzeug von GeflüchtetenunterstützerInnen durch Schulz und andere Personen belastende Aussagen bei der Polizei getätigt, da ihm das Ganze „zu weit gegangen“ sei. Seitdem sei er in Sorge um sein Leben, da ihm gesagt wurde, im sog. „Schwarzen Chat“ sei darüber geredet worden, dass man ihn „wegschaffen“ oder zumindest die Zähne ausschlagen solle. Auch hier sei Schulz die treibende Kraft gewesen.

 

Der Zeuge berichtete auch, wie im Rahmen von Demonstrationen vor einer Unterkunft von Geflüchteten in Freital versucht worden sei, die Unterkunft zu stürmen. Hierzu seien als Unterstützung Rechte aus Dresden angereist, die allesamt schwarzbekleidet und gewaltbereit gewesen seien. Als das nicht funktioniert habe, sei der Zeuge zusammen mit Schulz und zwei weiteren Personen zum Bahnhof in Freital gefahren, um durch Aufhalten des Zuges zumindest die Abreise von GeflüchtetenunterstützerInnen zu verhindern.

 

Bemerkenswert schilderte der Zeuge seinen Eindruck von Schulz Persönlichkeit. Er kenne keinen Menschen der soviel Hass in sich habe, so leicht reizbar und aufbrausend sei. Abschließend konstatierte der Zeuge, dass Schulz „über Leichen gehen würde“, um seine Ziele zu erreiche. Seine Mitgliedschaft in der Bürgerwehr Freital bedauerte der Zeuge, weil sie ihm nur Ärger eingebracht habe.

 

Am 7. Prozesstag sollten vor allem die Anschläge auf den Freitaler Linken-Politiker Richter und der Anschlag auf die Geflüchteten in der Bahnhofsstraße behandelt werden. Geladen waren auch die Geschädigten. Schon zu Beginn der Verhandlung meldete sich allerdings die Verteidigung des jüngsten Angeklagten Justin S., der als einziger bislang ausgesagt hat und dabei teilweise ungewollt ein weitgehendes Geständnis gemacht hatte: Justin S. sei krank und möglicherweise verhandlungsunfähig. In der Folge wurde dann zwar noch begonnen, einen Polizeibeamten zu vernehmen. Gegen Mittag wurde allerdings unterbrochen und nach einer Wartezeit mitgeteilt, dass die Hauptverhandlung bis nächsten Dienstag den 4. April wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten S. unterbrochen werden muss. Augenscheinlich ist Justin S. nach seiner Aussage und der mutmaßlichen Bedrohung durch Mitangeklagte auch psychisch stark angeschlagen.

 

Immerhin ergab die Vernehmung des einzigen Zeugen, eines Kriminalhauptkommisars, der als „Truppführer“ unter anderem die Hausdurchsuchung bei dem Angeklagten Weiß, im Anschluss dessen Vernehmung, sowie die Vernehmung des letzte Woche geladenen NPD-Stadtrats Abraham durchgeführt hatte, einige Informationen. Der Zeuge war selbst nicht in die Ermittlungen eingebunden und erhielt nur eine minimale Einführung, sowie für die Befragungen einen „Fragenspiegel“, den er in der Vernehmung abarbeitete.

 

Bei der Hausdurchsuchung sei der Angeklagte Weiß durch ein Fenster geflohen. Die Beamten mussten, so der Zeuge, die Tür öffnen lassen. Es fanden sich keine relevanten Gegenstände in der Wohnung. Im Anschluss wurde die Wohnung der Freundin des Angeklagten durchsucht. Man habe sich mündlich einen Durchsuchungsbefehl erteilen lassen.

 

Die Vernehmung des NPD-Stadtrates Abraham sei aufgrund des Vorwurfes der Sachbeschädigung durch rassistische Graffiti in Freital durchgeführt worden. Dieser hätte bereitwillig Auskunft erteilt. Insbesondere hätte er, gefragt nach den Sprengstoffanschlägen angegeben, hierfür seien „Hardore-Rechte“ aus Freital verantwortlich, namentlich den Angeklagten Schulz und Festing würde er solche Anschläge zutrauen. Er berichtete auch freiwillig von dem verschlüsselten „schwarzen Chat“, an dem er teilgenommen habe und von einer Internetseite, die er mit betrieben habe, bis ihm diese zu radikal geworden sei.

 

Auf den Propagandafotos der Gruppe Freital, vermummt, mit Hakenkreuzfahne und Hitlergruß identifizierte er sich selbst und andere. Dabei habe es sich aber um eine „einmalige Sache“ gehandelt, es sei eben ein „Photoshooting“ angesetzt worden, da habe er sich beteiligt.

 

Die Befragung zur Vernehmung des Angeklagten Weiß begann vielversprechend, da der Zeuge sich an zahlreiche Antworten des Angeklagten zu den Anschlägen erinnerte. Bevor die allerdings vertieft werden konnte, musste die Befragung wegen der Erkrankung des Angeklagten Justin S. unterbrochen werden. Wann der Zeuge erneut geladen werden wird ist unklar, da zunächst die bereits erfolgten Zeugenladungen abgearbeitet werden sollen. Auch die Vernehmung der weiteren für heute und morgen geladenen Zeugen wird bis auf weitere aufgeschoben.

 

Erneut wurde deutlich, dass die polizeilichen Ermittlungstätigkeiten vollständig auf die Anschläge mit Hilfe von Sprengkörpern reduziert wurden und die Tatmotivation, politische Zielsetzung und der Rassismus, der nicht nur durch die Anschläge sondern auch durch die sogenannten Bürgerwehr und die Demonstrationen eine extrem gewalttätige Dynamik erfuhr nahezu ignoriert wurden. Ob dies auf Unfähigkeit seitens der Spezialisten zur „Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität“ oder auf deren Unwillen zurückzuführen ist, ist noch unklar.