Der Polizei droht eine V-Mann-Affäre

Der Anwalt Peter-Michael Diestel erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei. (Archivbild)
Erstveröffentlicht: 
17.03.2017

Der Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel erhebt schwere Vorwürfe gegen Teile der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern. Anlass ist der Einsatz eines Minderjährigen als V-Mann durch die Ermittler. Diestel, der letzter Innenminister der DDR war, vertritt den mittlerweile 29-Jährigen und spricht von einem "an Widerlichkeit kaum zu überbietenden Skandal".

 

Mit 15 als V-Mann aktiv

Sein Mandant sei bereits als 15-Jähriger ohne Einwilligung seiner Eltern konspirativ als V-Mann aktiv gewesen. Das seien gesetzeswidrige Praktiken, wie man sie aus anderen Zeiten kenne, sagt der Jurist unter Anspielung auf Stasi-Aktivitäten in der DDR. Diestel fordert Aufklärung und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Der Jurist ist bekannt dafür, dass er gerne schwierige Fälle übernimmt, in denen der Staat und seine Vertreter nicht gut aussehen.

 

In der lokalen Drogenszene und beim G-8-Gipfel

Nach Informationen von NDR 1 Radio MV ging es zunächst um Informationen zur Drogen-Szene am Wohnort des Jugendlichen. Die Polizei wurde demnach nach einer Zeugenaussage auf ihn aufmerksam und warb ihn an - zur Kontaktaufnahme gab es ein Handy und erste kleine Zahlungen. Später - noch als Minderjähriger - soll die Polizei ihn im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm als Spitzel genutzt haben - immer gegen Bezahlung in bar. Der Jugendliche war damals Mitglied der PDS-Nachwuchsorganisation "solid" und hatte offenbar als wertvoll geltende Kontakte in die Gipfelgegner-Szene. Er lieferte dabei wohl auch Erkenntnisse über "linke" Landtagsabgeordnete. Der Innenexperte der Linksfraktion, Peter Ritter, zeigte sich alarmiert. Jetzt stelle sich die Aussage, seine Partei sei nicht beachtet worden, als "Märchen" heraus - auch er fordert Aufklärung.

 

Dann sollte er Hells Angel werden ...

Der V-Mann wurde später - als Erwachsener und mit Decknamen - bei Ermittlungen gegen kriminelle Rockerbanden in Rostock eingesetzt. Eine ehemalige Freundin brachte ihn in Kontakt mit Szenegrößen, deren Vertrauen er gewann. Seine Informationen haben offenbar mehrfach zu Razzien und Ermittlungserfolgen geführt. Die Polizei soll unter anderem Mietwagen für Drogen-Kurierfahrten zwischen Berlin und Rostock finanziert haben. Im Sommer 2014 nabelte sich der mittlerweile 26-Jährige ab - das Drängen seines V-Mann-Führers, Mitglied der Hells-Angels zu werden, wehrte er ab.

 

Aufgeflogen und angegriffen im Gefängnis

Der Mecklenburger wurde 2016 wegen betrügerischen Autohandels zu einem Jahr und elf Monaten Haft verurteilt. Er hatte zuvor bereits eine Jugendstrafe in Neustrelitz abgesessen, ebenfalls wegen Betrugs. Seine Spitzel-Tätigkeit flog in der Justizvollzugsanstalt Bützow auf: Nach mehreren gewalttätigen Attacken von Mithäftlingen wurde er im Januar zur eigenen Sicherheit in ein Gefängnis nach Süddeutschland verlegt. Sein Anwalt Diestel fordert Hilfe und eine Therapie. Die Gesundheit seines Mandanten sei im Vollzug akut gefährdet. Immerhin sei sein Mandant unter den Augen der Polizei und "im staatlichen Interesse" als Jugendlicher immer tiefer in das kriminelle Milieu abgerutscht. "Die Kriminalität hat ihn geprägt, und deshalb befindet er sich wegen Fehlverhaltens auch im Strafvollzug."

Das Justizministerium wollte sich auf Anfrage zu möglichen Ermittlungen gegen Polizisten nicht äußern. Das Innenministerium erklärte, über Unregelmäßigkeiten sei nichts bekannt. Es bestätigte, dass nach einer bundesweiten Richtlinie der Einsatz von Minderjährigen als V-Leute nicht zulässig ist. In anderen Bundesländern wird wegen fragwürdiger Praktiken beim Führen von V-Leuten ermittelt - zuletzt in Bayern.