Über zunehmend offensive Versuche von Neonazi-Gruppierungen, sich in Italien Wege in die breite Öffentlicheit zu bahnen, hat vor wenigen Tagen unter anderem das Blatt Haaretz berichtet. Die Autorinnen des Artikels sehen das massive Erstarken der rechtspopulistischen Lega Nord als einen wesentlich begünstigenden Faktor. Komplizenschaften zwischen Neonazis und Amtsträgern der Politik waren am 25. April, dem Tag der Befreiung vom Faschismus und von der nationalsoziaslistischen Besatzung in Italien Gegenstand von Heftigen Protesten, unter anderem in Mailand. Aktivisten verfassten hierzu den folgenden Text.
Mailand. 25. April 2010: Proteste gegen Moratti und Podestá für die ganze Dauer der Demonstration
Wie am 12. Dezember auf der Piazza Fontana, stimmt der Domplatz "Bella ciao, hole ihn Dir" an, während er den Redebeitrag des Präsidenten der Provinz Mailand, der nazifaschistische convention fördert, mit Pfiffen übertönt.
Wir können einen Revisionismus, durch den die selben, die mit der anderen Hand die am 1. und 2. Mail geplanten nazifaschistischen Treffen finanzieren und unterstützen, beim Fest der Befreiung von der Bühne predigen und in der Demonstration promenieren nicht akzeptieren. Die selben, die rassistische und sicherheitswahnsinnige Politik voran treiben und für neue Rassengesetze und die Sicherheitspolitik stimmen und die Empörung der Piazza.
Bereits von Anfang an hat eine umfassende Empörung von Alten und Jungen mit Parolen und Plakaten, die besagten: "Nein dem nazifaschistischen Treffen am 1. und 2. Mai in Mailand: Formigoni, Moratti und Podestá, Regional- und Provinzverwaltung, Bezirksräte, Milano Sport: eure Zelebrierung ist eine Schande, Schluss mit der Komplizenschaft" die Heuchelei der Institutionen angeprangert. Der Protest hat die Absurde Anwesenheit von Moratti und Podestá in der Demonstration von Anfang bis Ende begleitet. Eine wegen den von diesen Gestalten betriebenen Politiken schändliche Präsenz - um so mehr in diesen Tagen, in denen sich Mailand darauf vorbereiten muss, eine ganze Woche nazifaschistischer conventions über sich ergehen zu lassen, die nur dank des Wohlwollens dieser Institutionen und gar durch deren Unterstützung und Förderung überhaupt möglich sind. Im Besonderen stand Podestá im Mittelpunkt der Proteste, weil die Mailändische Provinzverwaltung bis heute über Milano Sport das am 1. Mai im mailändischen Lido geplante nazifaschistische Treffen unterstützt.
Lange bevor die Demonstration den Domplatz erreichte, wurden die Institutionen in höchster Eile bis auf die Domplatzbühne eskortiert, während eine große Gruppe die Amtsträger bis unterhalb der Bühne verfolgte und den Protest jenseits der Absperrgitter trug. Als derweil die ersten Blöcke der Demonstration begonnen hatten, den Platz zu erreichen, versuchten Ordnungskräfte in Aufstandsbekämpfungsmontur in der Zwischenzeit den buntesten, fröhlichsten und kommunikativsten Block gewaltsam aufzuhalten, den soziale Zentren, Studenten und prekäre Arbeiter im Bildungssektor, Komitees für das Recht auf Wohnraum, Migrantenkomitees und antirassistische Kollektive bildeten. Die entschlossene und empörte Antwort von Tausenden zwang die Ordnungskräfte, sich zügig von dannen zu machen. Eine schon am vergangenen 12. Dezember versuchte und von der Stadt Mailand schon damals zurück gewiesene Ausschlussoperation. Eine Stadt Mailand, die wirklich die Freiheit liebt und antifaschistisch ist und die unmöglich zu kontrollieren war, weil sie mit den Migranten der selbstverwalteten Italienisch-Schulen, den Kollektiven, und den Bewegungen, die um Wohnraum kämpfen, weit über den "Que se vayan todos" skandierenden Block der sozialen Zentren hinaus reichte und dabei, mit Anspielung auf Argentinien, auf rassistischen Populismus und autoritäre Vorstöße als die "Verarschung", die sie uns im Angesicht der Krise verabreichen, hinwies.
Die politische Maßnahme Podestás, um die Anprangerung seiner Komplizenschaft mit den Nazifaschisten zu verhindern, ist nicht gelungen: Der am stärksten partizipierte Block, der die unverzügliche Annullierung der nazifaschistischen Treffen forderte hat es geschafft, den Domplatz zu erreichen, während Podestá seine Rede hielt. Unter Applaus der übergroßen Mehrheit der Piazza hat das Eintreffen des Blocks auf dem Domplatz die von der Anwesenheit dieser Institutionen auf der Piazza und sogar auf der Bühne zum 65. Jahrestag der Befreiung dargestellte, würdelose Provokation angeprangert, die erfolgte, während in den selben Stunden nazifaschistische Gruppen und Treffen finanziert und unterstützt wurden. Wie schon am 12. Dezember hat die Piazza die Rede Podestás unter Pfiffen und lautstarken Rufen wie "Faschist" und "Runter von der Bühne" sowie durch Anstimmen des Liedes "Bella ciao" in der Version "O Partisan, hol' ihn Dir" begraben.
Dass 65 Jahre nach der Befreiung die Spitzen der Anpi, der Aned und der Cgil es vorziehen, die Bühne mit Gestalten zu teilen, die (beginnend bei Podestá) mehr mit dem Rassismus, als mit der Freiheit und mehr mit der Spekulation mit dem Gedenken als mit der Befreiung gemein haben, ist eine traurige Tatsache. Es ist dennoch Fakt, dass solche Spitzenvertretungen genau in der Spur der Krise und der Unfähigkeit liegen, sich auf die Menschen und auf die jungen Generationen zu beziehen, in der die Krise aller politischen und parteilichen Organisationen des 20. Jahrhunderts liegt. Wir wollen hoffen, dass es nicht diese Spitzen waren, die jene Polizeioperation anregten und zuließen, die erfolglos versucht hat, die Piazza von heute, dem 25. April 2010 in Mailand, politisch zu entleeren, um ihr lediglich die Feier des Gedenkens zu überlassen. Diesen Herren sagen wir, dass "das neue Millennium dringend neue Partisanen braucht", besonders in einer Phase, in der Rassismus und sicherheitswahnsinnige Ergüsse im gleichen Tempo wie Krise und prekäre Lebenszustände wachsen.
Im 3. Jahrtausend steigen wieder neonazistische Organisationen an die Oberfläche, die wie am 1. und 2. Mail in Mailand wieder empor kommen möchten. Wir sind nicht nur junge Leute aus den sozialen Zentren, wir sind viele, die von der Kurzsichtigkeit und von der Unfähigkeit politischer Spitzenleute die Nase voll haben, die Partisanen sein müssten, aber vor Jahren aufgehört haben, Partei zu ergreifen, was gleichzeitig erdrutschartige Partizipationseinbußen und den Verlust des Vermögens, das Wort zu ergreifen nach sich zog. Wir machen dabei nicht mit, dass die Geschichte und die Erinnerung bei aseptischen Zeremonien wie am 24. April in der Scala revidiert und ausgelöscht werden, während die Zeit den Anschein macht, uns jeden Tag ein Stück mehr in eine nicht tolerierbare Vergangenheit zurück zu werfen. Auch die oben genannten Organisationen - Anpi und Aned im Besonderen - stellen ein für unsere Geschichte kostbares Gut unserer Vergangenheit dar, das in Hinblick auf den Aufbau und die Vereidigung einer Zukunft aus Freiheit und Rechten fundamental ist. Mit dieser Mitteilung wollen wir also auch das omertöse Schweigen rund um die selbstmörderischen Entscheidungen der Spitzenvertreter in diesen Organisationen brechen ganz besonders zu Dingen wie dem Ausverkauf der Anpi-Niederlassungen an die Pläne von Frau Moratti, die sowohl institutionellen als auch revisionistischen Zeremoniale vom 24. April in der Scala, die fehl geschlagenen Maßnahmen, um aus den Mobilisierungen vom 12. Dezember 2009 und vom 25. April 2010 vom Sinn her revisionierte und vom Vermögen, an die Gegenwart zu sprechen her entleerte Ereignisse zu machen.
Es ist Zeit, eine neue Richtung einzuschlagen - die, die in letzter Zeit eingeschlagen wurde ist de facto eine regelrechte Ohrfeige an die antifaschistische Geschichte, an die Partisanen und an die Deportierten. Wie alle Spitzenvertretungen dieser Politik des Neoliberalismus, des Krieges und der Prekarität müssen auch die Spitzenränge dieser Organisationen gehen, wenn sie entschieden haben, die Werte der Resistenza nicht länger zu Teilen: Que se vayan todos!
Wir hoffen hartnäckig, dass es von jetzt an zu einer Umkehr der Fahrtrichtung kommt, in dem damit begonnen wird, die Kräfte zu einen, um mit allen Mitteln zu verhindern, dass Mailand zwischen dem 25. April und dem 2. Mai nazifaschistischen Treffen ausgeliefert wird. Wir laden alle dazu ein, gemeinsam aktiv zu werden - vor Allem, um die Präsenz dieser gefährlichen Gestalten in Mailand zu unterbinden, dann laden wir alle in, Aufrufe und Petitionen zu unterzeichnen und die Initiativen zu vermehren und den Anprangerungsdruck gegen die Komplizenschaft verantwortlicher politischer Institutionen sowie "heimischer" Unternehmen wie Milano Sport, die heute immer noch nicht die Genehmigung des Lido di Milano an die Nazifaschisten am 1. Mai zurück genommen hat zu vergrößern. Am 1. Mai müssen wir ab 10 Uhr abends auf dem Piazzale Lotto viele sein, und wir müssen am 2. Mai noch mal viele sein. Um Freiheit und Demokratie zu verteidigen braucht das neue Jahrtausend neue Partisanen. Wir erklären außerdem unsere Solidarität mit Luciano Muhlbauer und den jungen Prekären, die von Schlagstöcken getroffen wurden, während wir versuchten, den Domplatz zu erreichen.
Anmerkung: Anpi, Aned und Cgil stehen jeweils für den Verband der italienischen Partisanen, den Verband der ehemaligen politischen Deportierten in nationalsozialistische KZs und für den größten gewerkschaftlichen Dachverband Italiens
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Beide enthalten Multimedia-Dokumente
Eine Fotostudie zum 25. April in Mailand: http://www.fotoup.net/photogallery/25aprile2010/