Unister-Prozess in Leipzig beginnt mit harten Bandagen

Erstveröffentlicht: 
11.01.2017

Die Vorwürfe sind massiv und zwar von beiden Seiten. Am Mittwoch hat vor der 15. Strafkammer am Landgericht Leipzig der Prozess gegen drei Manager von Unister und Travel 24 begonnen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung brachten sich bereits am ersten Tag in Stellung.

 

Leipzig. Die Tatvorwürfe reichen von Computerbetrug über Steuerhinterziehung bis hin zum unerlaubten Betreiben von Versicherungsgeschäften. Am Mittwoch hat am Landgericht Leipzig der Prozess gegen Daniel Kirchhof (39, Unister-Mitgründer und ehemaliger Finanzchef), Holger Friedrich (52, Leiter Flugbereich bei Unister) und Thomas Gudel (59, Ex-Finanzchef bei Travel 24) begonnen. Zwei Anklagesätze mit zusammen 48 Seiten verlasen die Vertreter der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft unter Federführung des leitenden Ermittlers Dirk Reuter. Über mehrere Stunden präsentierten sie ihre Vorwürfe, gespickt mit endlos erscheinenden Zahlenkolonnen.

Der Kern des ersten Teils: Die Angeklagten sollen in unterschiedlicher Beteiligung ohne Erlaubnis Reiserücktrittsversicherungen verkauft und der Unister-Gruppe zwischen November 2011 und Ende 2012 damit einen Ertrag von 14 Millionen Euro beschert haben. Außerdem sollen die Manager Versicherungssteuern in Höhe von 1,1 Millionen Euro hinterzogen haben. Friedrich, so der Vorwurf, habe einem Versicherungspartner von Unister zudem Umsätze von 125.000 Euro nicht gemeldet. Daraus sei ein weiterer Steuerschaden entstanden.

Unister soll bis zu 90 Euro pro Flug einbehalten haben

Unister bot jahrelang Produkte unter den Namen „Flexifly“ und „Stornoschutz“ an. Damit konnten Kunden gegen einen Aufpreis die Zusatzkosten für Umbuchungen oder Flugabsagen ohne besondere Gründe ausgleichen. Die Staatsanwaltschaft sieht in dem Service eine nicht genehmigte Versicherung, Unister hält ihn für eine vertragliche Nebenabrede, die keiner besonderen Erlaubnis bedarf.

Im zweiten Teil der Anklage geht es um die in der Reisebranche übliche Praxis des „Herunterbuchens“. Kunden kaufen dabei ihren Flug zum auf dem Onlineportal ausgewiesenen Preis. Mitarbeiter von Unister sollen anschließend im Hintergrund nach günstigeren Tarifen gesucht und die Ersparnis nicht an den Endverbraucher weitergegeben, sondern für das Unternehmen eingesteckt haben.

Die Anklagevertreter berichteten von einem ausgeklügelten System beim Internetriesen aus dem Barfußgässchen. Mitarbeiter hätten die Buchungen in günstigere Flüge für Pauschalreisen umdeklariert oder bei One-Way-Strecken den Rückflug für den Kunden einfach mit geordert, weil das Paket in Summe günstiger war. Der Sitz für eine Strecke im Flugzeug sei dann einfach leer geblieben. Später sei dieses Vorgehen automatisiert worden. Pro Herunterbuchung habe Unister zehn bis 90 Euro eingestrichen, so der Vorwurf. Die Kunden hätten von alledem nichts mitbekommen.

Verteidiger kritisieren "aufgeblasene" Anklage

Laut Anklage seien die Unister-Mitarbeiter durch ein Bonussystem noch extra motiviert worden. Die Prämien hätten sich nach dem Umsatz gerichtet und von mehreren Hundert Euro bis zu einem Spitzenwert von mehr als 2000 Euro monatlich pro Angestelltem gereicht. Die Anklage listet insgesamt 87.000 Fälle auf und beziffert einen Schaden von 7,6 Millionen Euro.

Friedrichs Verteidiger, der Frankfurter Wirtschaftsanwalt Thomas Filler, ließ an der Anklage kein gutes Haar. „Das Runterbuchen wird seit 30 Jahren in Deutschland praktiziert, bisher gab es deshalb nie Ermittlungen“, erklärte er. Die ganze Reisebranche schaue jetzt nach Leipzig. „In Frankfurt wäre das nie angeklagt worden“, ist er sich sicher.

Filler, der 2012 in einer Nacht- und Nebelaktion auch die halbe Million Euro Kaution für den damals in Untersuchungshaft sitzenden Unisterchef Thomas Wagner hinterlegte, hält die Vorwürfe gegen seinen heutigen Mandaten für haltlos und die Anklage für „aufgeblasen“. Sie stehe „auf tönernen Füßen“. Das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft mit zwei Razzien, der Untersuchungshaft für Kirchhof, Gudel sowie weitere Manager und die folgenden jahrelangen Ermittlungen hätten Unister in den Abwärtsstrudel gezogen. Am Ende stand die Insolvenz des Unternehmens.

Steuern soll Unister auch mit einer weiteren Masche hinterzogen haben. Trotz einer Gesetzesänderung im Jahr 2010 zahlte der Reisevermittler laut Reuter für Flüge von Geschäftskunden ins Ausland, wie zuvor gültig, weiter nur für 25 Prozent der Serviceleistungen die fällige Umsatzsteuer. Unzulässig, meint die Staatsanwaltschaft. Hier hätte nun der gesamte Betrag versteuert werden müssen. Der vorgeworfene Schaden: 790.000 Euro.

Kirchhof: Verfahren nahezu "existenzbedrohend"

Die Angeklagten planen in dem Verfahren umfänglich auszusagen. Wann das allerdings erfolgt, ist noch unklar. Ein Problem treibt die Verteidiger nämlich um. Gegen zahlreiche der in Frage kommenden Zeugen, vielfach Mitarbeiter von Unister, laufen selbst noch Ermittlungsverfahren. Laut Reuter betrifft das mehr als 50 Personen.

Solange die Akten noch nicht zugeklappt sind, besitzt dieser Personenkreis ein Zeugnisverweigerungsrecht. Nach der Einstellung ihrer Verfahren müssten diese Zeugen allerdings aussagen. Ihr Kreis könnte sich also im Laufe des Verfahrens noch sprunghaft erhöhen. „Wer sich jetzt mit Einlassungen zu schnell aus der Deckung wagt, könnte sich am Ende selbst schaden“, meint einer der Verteidiger. Und auch dies befürchten die Anwälte: Die Generalstaatsanwalt könnte sich durch ihre Ermittlungen und Befragungen der möglichen späteren Zeugen einen Wissensvorsprung im Prozess verschaffen. Kammervorsitzender Volker Sander mahnte deshalb bei der Anklagevertretung ein transparentes Verfahren an.

Zumindest Kirchhof äußerte sich am ersten Tag in einer schriftlichen Erklärung gegenüber den Medien: „Das Verfahren ist seit Jahren für meine Familie und mich eine nahezu existenzbedrohende Belastung in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht.“ Er erhoffe sich eine vollständige Entlastung. Vertreten wird Kirchhof von Ines Große und Legida-Frontmann Arndt Hohnstädter. „Herr Hohnstädter ist mein Pflichtverteidiger, ich kann mir keinen Anwalt für 200 bis 300 Euro Stundensatz leisten“, so der Unister-Gesellschafter. Politisch sei er neutral und habe in diesem Punkt mit Hohnstädter nichts gemein, betonte Kirchhof.

Der Prozess wird am 26. Januar fortgesetzt.

Matthias Roth