Alle Jahre wieder

Erstveröffentlicht: 
05.01.2017

Gewalt, Hass, Diskriminierungen – ein Überblick über das, was 2016 im Fußball passierte.

von Simon Volpers

 

2016 wird als Jahr in Erinnerung bleiben, dem die Rechte ihren Stempel aufdrückte. Einigen erfolgreichen Interventionen von links stehen vielerorts Angriffe auf Flüchtlinge sowie Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien gegenüber – und wie so oft spiegeln sich gesellschaftliche Entwicklungen auch in dem, was in den Fußballstadien des Landes und insbesondere in deren Fankurven passiert: Das Engagement antifaschistischer Fußballanhänger für diskriminierungsfreie Spiele und Fanszenen wurde 2016 untergraben und bisweilen überschattet. Nicht selten zeigte sich, dass Fanszenen und neonazistische Strukturen verwoben sind.

 

 

Traditionell sammelt sich die Szene gewaltaffiner und nationalistischer Fußballanhänger bei Großereignissen, wie im Juni bei der Europameisterschaft in Frankreich. Bereits vor dem ersten Spiel der deutschen Nationalelf machten Fotos deutscher Hooligans mit Reichskriegsflagge und Hitlergruß die Runde, in der Innenstadt von Lille griff ein Mob gegnerische Fans aus der Ukraine an. Zahlreiche bekannte Neonazis sollen daran beteiligt gewesen sein. Auf Fotos aus dem Stadion ist etwa Michael Brück zu sehen, ein führendes Mitglied der extrem rechten Szene Dortmunds und Funktionär der Partei »Die Rechte«. Im weiteren Verlauf des Turniers wurden die deutschen Fans dann vor allem für ihre »Scheißitaliener«-Gesänge kritisiert.

 

Ein anderes Fußballgroßereignis war das letztjährige Pokalfinale. In einem anonymen Beitrag auf Vice Sports wurden homophobe und antisemitische Gesänge im Sonderzug der Borussia-Dortmund-Fans auf dem Weg in die Hauptstadt öffentlich gemacht, die vor allem von der Gruppe namens »0231 Riot« ausgegangen sein sollen. Journalisten recherchierten daraufhin und machten Kontakte dieser Gruppe in das Nazimilieu der Stadt öffentlich, wie auch ihre gewalttätigen Einschüchterungsversuche gegen die restliche Fanszene während der gesamten Saison, die zur Duldung der Parolen von den verachteten »Judenfreunden« Nürnberg und Schalke führten.

 

Besonders auffällig war die Situation jedoch in Leipzig, wo sich insbesondere Personen aus dem Umfeld des Regionalligaaufsteigers 1. FC Lokomotive hervortaten. Ende September hielt die Polizei etwa 40 Lok-Hooligans in Gera auf, die offenbar Fans des Stadtrivalen BSG Chemie angreifen wollten. Wie Antifaschisten auf der Online-Plattform Inventati aufzeigten, sind die meisten Mitglieder der Gruppe als Neonazis bekannt. Anfang Oktober sollen Lok-Fans im Rahmen eines Spiels in Berlin rassistische Lieder gesungen haben. Der sächsische Landesvorsitzende der Grünen, Jürgen Kasek, machte Anfang November öffentlich, dass er in einem Zug von rechten Lok-Anhängern bedroht und angegangen worden war. Vor dem Pokalderby zwischen den beiden Leipziger Vereinen Lok und Chemie Mitte November tauchten schließlich Aufkleber mit der Aufschrift »Juden Chemie« auf. Dass sich im Zuge dieses Spiels die Leipziger rechte Szene versammelte, machten sich Antifaschisten zunutze, die offenbar zur gleichen Zeit in die Wohnung des Neonazis Istvan R. eindrangen und dort unter anderem ein Hitler-Porträt vorfanden, wie sie in einem Video dokumentierten – der Einbruch, so hieß es, sei eine Rachetat für den sogenannten »Angriff auf Connewitz« Anfang 2016. Damals, am 11. Januar, hatten mehr als 200 Neonazis einen Straßenzug inklusive des Ladens des antirasstischen Fußballvereins Roter Stern in dem linksalternativen Stadtteil verwüstet. Beteiligt waren zu einem wesentlichen Teil Personen aus den Fanszenen des 1. FC Lok, von Dynamo Dresden und anderen Ostvereinen. Die gute Vernetzung der extrem rechten Anhänger wurde außerdem deutlich, als verschiedentlich T-Shirts mit dem antisemitischen Aufdruck »JDN CHM« auftauchten, die nicht nur von Lok-Fans, sondern auch etwa im Block der BSG Stahl Riesa getragen wurden (Jungle World 22/16).

 

Ohnehin sind nicht wenige Vorfälle ostdeutschen Fans zuzuordnen. Der FSV Zwickau wurde erst im Dezember vom DFB zu einer Geldstrafe verurteilt, weil Zuschauer einen Gästespieler rassistisch beleidigt hatten. Anfang September beteiligten sich bis zu 200 Anhänger des BFC Dynamo an einem Angriff auf ein Fest eines Kameruner Kulturvereins nahe dem eigenen Stadion im Berliner Mauerpark, in dessen Verlauf es unter anderem zu schweren Verletzungen durch Flaschenwürfe gekommen sein soll. Die Berliner Gruppe »Northeast Antifascists« sprach in diesem Zusammenhang gar von einer »No-go-Area« während Heimspielen des BFC.

 

Beim Aufeinandertreffen zwischen dem 1. FC Magdeburg und Eintracht Frankfurt im August provozierten Hooligans unterschiedlicher Vereinszugehörigkeit neben dem Gästeblock mit dem Zeigen des Hitlergrußes und einer »Good Night Left Side«-Fahne. Als daraufhin aus Reihen der Frankfurter Pyrotechnik auf die Gruppe geworfen wurde, stimmte der Magdeburger Fanblock antiziganistische Gesänge an.

 

Auch Fans des FC Energie Cottbus taten sich mehrfach durch besondere Geschmacklosigkeiten hervor. Zum Derby im November gegen den SV Babelsberg 03, der als Verein mit linker Fanszene gilt, wurde die eigene Stadt von den »Nazihools Energie« mit antisemitischen und Anti-Antifa-Schmierereien geschmückt. Im Stadion sammelte sich ein ganzer Block voller Neonazikader, während vor dem Block des Collettivo Bianco Rosso ein Banner mit durchgestrichenem Hammer-und-Sichel-Symbol präsentiert wurde. Die Ultra-Gruppe war zudem bereits vorher durch ein perfides Video aufgefallen, in dem die Entführung eines Babelsberg-Fans inszeniert wurde. Bereits Ende September war am Zaun der Cottbuser Fankurve eine »Defend Bautzen«-Fahne aufgehängt worden, die offenkundig die Unterstützung rechter Gewalt in der sächsischen Kleinstadt zeigen sollte. Auch am gewalttätigen Überfall auf einen Cottbuser Jugendclub waren im selben Monat Personen beteiligt, die der Fanszene des FC Energie zugerechnet werden.

 

Das schrecklichste Vorfall des Jahres ereignete sich Anfang Oktober. Hannes S., Anhänger des 1. FC Magdeburg, traf in einem Regionalzug auf etwa 80 Fans des Halleschen FC, des größten Rivalen seines Vereins. Es kam zu einer Auseinandersetzung, die sich nicht genau rekonstruieren lässt. Nach Angaben der Polizei öffnete S. irgendwann eine Notverriegelung und sprang aus dem fahrenden Zug, ob unter Zwang, aus Todesangst oder im Alkoholrausch ließ sich nicht ermitteln. Der 25jährige zog sich schwerste Verletzungen zu, denen er kurze Zeit später erlag (Jungle World 44/16).

 

Doch auch in Westdeutschland kam es zu einschlägigen Vorfällen. Im September kritisierte ein Fanclub von Borussia Mönchengladbach, dass die eigenen Fans während des Spiels bei RB Leipzig Affenlaute von sich gegeben hätten. Bereits Anfang April war es im Gästeblock des Stadions in Bielefeld zu unschönen Szenen gekommen. Die Düsseldorfer Hooligan-Gruppe Bushwhackers zeigte dort eine Solidaritätsfahne für Mitglieder der spanischen Nazifangruppe Frente Atlético, die zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren, nachdem sie einen linken Ultra bei einer Auseinandersetzung ums Leben gebracht hatten. Zwar mussten die Hooligans nach dem EIngreifen antirassistischer Ultras den Block verlassen, doch sind letztere seit langem regelmäßigen Anfeindungen der Rechten ausgesetzt. In Hannover zeigte sich die Fanszene im Oktober im Spiel gegen St. Pauli vereint hinter einem Spruchband mit der Aufschrift »Kämpfen bis die Fotzen liegen«. Nachdem es in der Nacht vor der Begegnung in Hannover zu einem Angriff auf Antifaschisten durch Teile der örtlichen Ultra-Szene gekommen war, wie auf Indymedia berichtet wurde, ließen es sich die Hausherren offenbar nicht nehmen, auch den Gästen aus Hamburg zu vermitteln, wes Geistes Kind sie sind.

 

Wenig spricht dafür, dass sich solche Szenen im neuen Jahr nicht wiederholen werden.