Ein linker Aktivist schildert, wie er von einem Geheimdienstmitarbeiter verfolgt und angesprochen wurde
Anwerbegespräche - auch in der linken Szene - sind gängige Praxis beim Verfassungsschutz. Die Reform des Inlandsgeheimdienstes war ein umstrittenes Thema bei den Koalitionsverhandlungen der neuen Berliner Regierung. Grüne und LINKE wollten ihn abschaffen, die SPD weigerte sich. Der Kompromiss im Koalitionsvertrag sieht nun vor, den Verfassungsschutz zu reformieren und »dessen Tätigkeit klar an den Grundrechten und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit« auszurichten. Seine Aufgaben sollen »auf den Kernbereich beschränkt« bleiben und die Kriterien der Arbeit »eng gefasst und streng überwacht« werden. Es bleibt allerdings zu vermuten, dass sogenannte Anwerbegespräche des Inlandsgeheimdienstes weiterhin zu diesem »Kernbereich« gehören.
In der Praxis bedeutet das, dass Aktivist_innen von Mitarbeiter_innen des Geheimdienstes auf der Straße oder zu Hause angesprochen werden, um Informationen über politische Gruppen und Strukturen zu erfahren.
Das erlebte kürzlich auch Martin*. Der Aktivist aus der linken Szene wurde am 24. November in Berlin-Neukölln von einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes verfolgt und angesprochen. »Ich hab morgens die Wohnung verlassen, um zur Arbeit zu fahren. Als ich von dort wieder los fuhr und in Neukölln aus dem Bus ausstieg, wurde ich von einem Mann mittleren Alters mit vollem Namen angesprochen«, schildert Martin den Vorfall. Der Ausweis, der ihm gezeigt wurde, wies den Mann als Beamten des Verfassungsschutzes aus.
Solche Gesprächsversuche dienen neben dem Versuch, tatsächlich Einblicke und Informationen in und über Strukturen zu bekommen, nicht zuletzt auch der Einschüchterung der betroffenen Personen und ihres Umfeldes. Das macht auch Martins Schilderung des Vorfalls deutlich. Der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes habe ihn gefragt, ob er gerade arbeiten gewesen sei. Das habe er bejaht, erzählt Martin. Daraufhin habe ihm der Beamte eröffnet, dass er ihm hinterhergefahren sei und auch, dass es ihm unangenehm sei, ihn so einfach anzusprechen. »Das ist so eine unangenehme Situation. Ich wollte sie nicht ansprechen, wenn so viele Leute dabei sind«, gibt Martin den Wortlaut des Beamten wieder.
Wäre es nicht eine so ernste Begebenheit und ein Eingriff in das Privatleben, fast könnte man über das schlechte Gewissen des Mitarbeiters schmunzeln. Ebenso humoristisch erscheint der Grund, den der Beamte für das Gespräch vorbrachte: »Wir machen gerade eine Studie mit politisch interessierten Leuten.«
Doch das Lachen über solch unbedarfte Versuche vergeht schnell. »Schlimm ist ja eigentlich die Tatsache, dass der Beamte kein Geheimnis daraus machte, dass er mir von der Arbeit aus folgte und auch weiß, wo ich wohne«, findet Martin. Dieses latente Gefühl von Überwachung teilt er mit anderen Aktivist_innen. Immer wieder werden Gesprächsversuche dieser Art öffentlich gemacht.
Auf Nachfrage, wie viele solche Gespräche in Berlin geführt wurden, reagierte der Geheimdienst bisher nicht. Doch das Interesse der Behörden an der linken Szene scheint ungebrochen hoch: Mitte des Jahres hatte die linksradikale Szene in Hamburg zum dritten Mal innerhalb von nur eineinhalb Jahren eine verdeckte Ermittlerin der Polizei enttarnt. In Berlin eskalierte die Situation im Sommer rund um die Rigaer Straße. Der damalige CDU-Innensenator sprach gar von »Terror«. Es folgten Repressionen und Hausdurchsuchungen.
Warum gerade Martin jetzt vom Geheimdienst beobachtet und angesprochen wurde, kann er selbst nicht sagen. Auch wenn er das Gespräch sofort beendet hat, die Unsicherheit bleibt für ihn bestehen.
* Name von der Redaktion geändert