[MA] kämpferische Demo für die Freilassung der HDP Abgeordneten

Front

+++ lautstarke Demo gegen die Ereignisse in der Türkei +++ ca. 1000 TeilnehmerInnen +++ kleine Zwischenfälle nach der Demo +++

 

Am gestrigen Freitag, den 4. November 2016, fand eine Demonstration in Mannheim gegen die Verhaftungen der prokurdischen HDP Abgeordneten in der Türkei statt. Die DemonstrantInnen versammelten sich ab 17 Uhr auf dem Paradeplatz. Die RednerInnen der Auftaktkundgebung brachten sowohl ihre Solidarität mit den Verhafteten zur Sprache als auch ihre Wut gegenüber den letzten Entwicklungen und immer öfter zur Tagesordnung dazu gehörenden Staatsgewalt und -willkür. Auch wurde häufig angeprangert, dass gerade die deutsche Regierung und auch die anderen europäischen Staaten gegenüber dieser Entwicklungen nicht mit wahren Konsequenzen drohen, sondern sich mit verbalen Abmahnungen zufrieden geben, um dann über die nächsten Geschäfte, die man zusammen macht, zu reden. Gegen 18 Uhr setzte sich die Demonstration mit ca. 1000 Menschen in Gang und lief die Kurpfalzstraße entlang. Nach außen wurde insgesamt ein kämpferisches Bild abgegeben, kurdische, deutsche und türkische Parolen lösten sich immer wieder ab. Auch wurde eine Rauchfackel gezündet, die für Begeisterung innerhalb der eigenen Reihen sorgte.

Die Abschlusskundgebung fand vor dem Barockschloss Mannheim statt. Auch hier wurde im Rahmen der Reden auf die Ereignisse eingegangen und der Protest zur Sprache gebracht. Gegen 19 Uhr wurde die Demonstration für beendet erklärt, als einige DemonstrantInnen beschlossen den Rückweg gemeinsam und Parolen rufend anzutreten. Während die deutschen Einsatzkräfte bereits nach wenigen Metern anrückten und der Menge meinten erklären zu müssen, dass die Demonstration vorbei sei, wichen die mehrheitlich jungen Leute der Polizei aus, um sich wenige Meter später wieder zusammenzuschließen und Parolen rufend weiter Richtung Marktplatz zu laufen. Auf Höhe des Galeria Kaufhauses meinte eine junge AKP Anhängerin die wütende Menge durch Zurufe provozieren zu müssen, woraufhin es zu einem kleinen Handgemenge kam. Nach Einschreiten der Polizei setzten die DemonstrantInnen ihre kleine Spontandemonstration in Richtung Marktplatz fort. Die erstaunlich schnell handelnde Polizei stellte sich mit einem martialischen Aufgebot schützend vor die türkischen Läden und hinderte die DemonstrantInnen an einer Fortsetzung ihres Protestes, woraufhin sich die Demonstration ohne weitere Zwischenfälle auflöste.

Zu den Ereignissen in der Türkei...

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag starteten die türkischen Sicherheitskräfte eine Verhaftungswelle gegen die Abgeordneten der prokurdischen HDP. Zunächst drangen Polizei und Spezialkräfte in die Wohnungen der Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag gewaltsam ein und nahmen diese in Gewahrsam. Danach wurde dieser Akt des Staatsterrors auch bei weiteren elf Abgeordneten vollzogen. Zeitgleich wurden die HDP Büros in Istanbul und Ankara durchsucht und verwüstet, und den Parteimitgliedern der Zutritt in die Büros verwehrt.


Der Zugriff auf das Internet und die sozialen Medien in der Türkei ist nicht mehr über die „normalen“ Wege möglich. Dennoch schafften es Tausende von Menschen sich bereits ab Donnerstagnacht zu organisieren und gegen die Willkür des Staates auf die Straße zu gehen – sowohl in Europa als auch in der Türkei. Bei den Protesten in der Türkei gingen Spezialeinheiten der Polizei gewaltsam gegen die Menschen vor, um die Proteste zu verhindern. Es kam zu Dutzenden von Festnahmen. In einem Viertel in Istanbul rief ein Polizeiführer vor laufenden Kameras seinen Polizisten zu, sich nicht davor zu genieren auf die DemonstrantInnen mit scharfer Munition zu schießen. Die Co-Vorsitzende der prokurdischen DBP (Partei der demokratischen Regionen) Sebahat Tuncel wurde während der Proteste in Diyarbakir durch die Polizei dermaßen verletzt, dass sie zunächst im Krankenhaus behandelt werden musste, bevor sie festgenommen werden konnte.


Außerdem ereignete sich am gestrigen Freitagmorgen um kurz vor acht Uhr (Ortszeit) in Diyarbakir eine starke Explosion, bei der elf Menschen ums Leben kamen. Während der durch die AKP Regierung eingesetzte Gouverneur Diyarbakirs und der Ministerpräsident Yildirim direkt nach dem Anschlag die kurdische Arbeiterpartei PKK dafür verantwortlich machten, tauchte im Laufe des Tages ein Bekennerschreiben vom „Islamischen Staat“ IS auf. Der HDP Abgeordnete Ziya Pir, der zunächst ebenfalls festgenommen, dann vom Haftrichter unter Auflagen wieder freigelassen wurde, erklärte in dem Zusammenhang gegenüber der linken Nachrichtenagentur Etha: „Ich und der Co-Vorsitzende Selahattin Demirtas wurden nach unserer Festnahme auf das Polizeirevier gebracht. Hier befanden sich bereits weitere 60 FreundInnen aus den Reihen der HDP in Gewahrsam. Auch die Abgeordneten Nursel Aydogan und Gülseren Yildirim waren dort. Danach wurden drei von uns zum Justizgebäude gebracht. Kurz danach ereignete sich vor dem Polizeirevier die gewaltige Explosion, die im Justizgebäude noch zu hören war. In dem besagten Polizeirevier waren noch einige unserer FreundInnen, u.a. Figen Yüksekdag und Sirri Süreyya Önder. Unser Freund aus den Reihen der DBP, Recai Kultay, der seit Tagen in dem Polizeirevier in Gewahrsam gehalten wurde, verlor bei der Explosion sein Leben. Es ist ein Wunder, dass nicht noch mehr unserer Leute ihr Leben verloren. Normalerweise würden wir nach einer Festnahme direkt dem Haftrichter vorgeführt und nicht erst noch zum Polizeirevier gebracht werden. Die dazu kommende Tatsache, dass wir alle im selben Polizeirevier zusammengeführt wurden, und vor der Überführung zum Justizgebäude über eine Viertel Stunde vor dem Polizeirevier in den Autos haben warten müssen, lässt die Vermutung aufkommen, dass dieser Anschlag uns und v.a. der HDP gegolten hat...“


Dies sind die Entwicklungen der letzten Stunden...


Bereits in den vergangenen Tagen und Wochen wurden über 20 fortschrittliche Radiosender und TV-Kanäle geschlossen und die auflagenstarke, kemalistische Zeitung Cumhurriyet einer Polizeioperation unterzogen. Seither befinden sich der Chefredakteur und weitere Journalisten der Zeitung in Polizeigewahrsam. Im Laufe des gestrigen Tages wurden der Chefredakteur und neun Journalisten durch den Haftrichter festgenommen. So wurden auch die einzige kurdischsprachige Tageszeitung Azadiya Welat und der weltweit einzige Frauennachrichtendienst JINHA verboten. Vor ca. einer Woche wurden bereits die HDP Abgeordneten Gültan Kisanak und Firat Anli verhaftet. Im Anschluss wurden die kurdischen Städte Sirnak und Diyarbakir der direkten Aufsicht des Staates unterstellt. Auch verkündete Erdogan die Todesstrafe wieder einführen und bei Verabschiedung eines solchen Gesetzes durch das Parlament dieses ratifizieren zu wollen.


Eine weitere wichtige Entwicklung der vergangenen Tage ist, dass Gewerkschaften zwar offiziell noch nicht verboten wurden, jedoch immer mehr Betriebe ihren ArbeiterInnen mit Gewerkschaftsmitgliedschaften die Verträge kündigen – ohne jegliche Konsequenzen für die ArbeitgeberInnen.


Gleichzeitig setzt das türkische Militär seine Angriffe auf die kurdischen Gebiete im Irak und auf Rojava weiter fort. Auch wurde in den letzten Stunden vermehrt berichtet, dass das Militär seine Präsenz an den Grenzen zu Syrien und zum Irak am Verstärken ist.


Insgesamt sind die Entwicklungen und Ereignisse in der Türkei der letzten Tage und Wochen sehr beunruhigend und alarmierend. In diesem Sinne gilt, die Solidarität mit der fortschrittlichen und kurdischen Bewegung auf die Straße zu tragen.


Die Bilder sind aus folgender Seite entnommen: http://www.morgenweb.de/mannheim/mannheim-stadt/proteste-gegen-erdogan-1...