Wie jedes Jahr wird auch in Leipzig der 1.Mai als Tag der ArbeiternehmerInnen durch diverse Verbände, Gewerkschaften und linke Gruppen gefeiert. Zentral in Leipzig ist dabei eine Demonstration gewerkschaftlich-organisierter Gruppen, beginnend von Connewitz Kreuz in Richtung Innenstadt, mit Abschluss auf dem zentral gelegenen Augustusplatz. Hier endet dann das Spektakel und das Maifest der Gewerkschaften und Parteien, bestehend aus immer gleichen Reden der Funktionäre und fröhlichem Beisammensein bei Bratwurst, Bier und Hüpfburg nimmt seinen Lauf. Haben früher noch Naziaufmärsche und großangelegte Gegenaktionen den 1.Mai in Leipzig bestimmt, ist dies seit dem Rückzug der Neonazis um den Hamburger Christian Worch aus Leipzig anders.
Unter den linken Gruppen gibt es durchaus kontroverse Diskussionen zum Umgang mit jenem 1.Tag im Mai. So sehnen einige hierin eine unsägliche Glorifizierung der Arbeit, insbesondere der Lohnarbeit, andere wollen an die revolutionäre, linksradikale Geschichte des 1.Mai, insbesondere die erkämpften Rechte und Freiheiten für die ArbeitnehmerInnen anknüpfen. Zum Zwecke der Verbindung von Arbeitskritik und linksradikalen Inhalten im Rahmen der Gestaltung des 1.Mai in Leipzig, hat sich schlussendlich im Jahr 2009 ein Bündnis gegründet. Ziel war es unterschiedliche Akteure und Thematiken einzubeziehen, um letztendlich eine gemeinsame emanzipatorische Veranstaltung zu organisieren. So fand im vergangenen Jahr bereits eine Sterndemonstration statt. Auf den drei Armen wurden die Thematiken Freiräume, Nazistrukturen und Arbeitskritik fokussiert, den Höhepunkt bildete eine große Abschlussdemo mit mehreren hundert Menschen durch die Innenstadt. Während Gewerkschaften und Parteien jedes Jahr aufs Neue „Gute Arbeit für gute Löhne“ fordern, sich dabei weder einer Verbindung der ArbeitnehmerInnen und ihrer Organisationen ins kapitalistische System bewusst sind, noch die Notwendigkeit der umfassenden Umgestaltung jener gesellschaftlichen Ordnung erkennen wollen, gelang es dem 1.Mai Bündnis linksradikale Inhalte und Kritik zu vermitteln. An diese Idee und „Tradition“ wollen die Akteure des 1. Mai Bündnis nun auch dieses Jahr anknüpfen. Unter dem Motto „Und Leben…?“ wird zum zweiten Mal eine emanzipatorische Sterndemonstration organisiert.
Viel los in Leipzig und anderswo.
Das Leben im Kapitalismus bedeutet für viele Menschen Leben unter Zwängen, prekären Lebensbedingungen und Ausgrenzung sowie Diskriminierung. Leipzig eine der größten Städte in den neuen Bundesländern präsentiert sich als schicke Messe- und Dienstleistungstadt und zeigt sich im sanierten und optisch perfekten Gewandt. Die Stadt möchte sich gerne mit anderen Touristenstädten im In- und Ausland vergleichen. Zuletzt konnte mensch an die angebliche Revolution von 1989 anknüpfen und stellte sich als Wiege der Demokratie dar. Dass im selben Zeitraum bereits Dutzende Menschen von den gerade aufgeweckten deutschen BürgerInnen durch die Straßen gejagt wurden, dass wenige Monate später bereits Flüchtlingsunterkünfte brannten und Menschen starben, fand selbstverständlich keine Erwähnung auf der Lichtfest-Partymeile in jenem Oktober 20009. Auch die Stilisierung als funktionierender wirtschaftlicher Standort findet seine Schattenseiten. Nicht nur dass Leipzig eine konstant hohe Arbeitslosenzahl aufweist, in den zahlreichen Unternehmen, insbesondere in der Dienstleistungsbranchen schuften die Menschen täglich für wenige Euro/Stunde und müssen sich umfassenden Druck- und Kontrollmechanismen aussetzen. Im Grunde bleibt für viele Menschen nur die Wahl zwischen Warenlager, Callcenter und Leben mit Arbeitslosengeld II und der Verpflichtung zu Maßnahmen wie Bürgerdienst LE oder Service Kraft bei den Leipziger Verkehrsbetrieben. Was die Menschen hier erleben hat mit Humanismus, Möglichkeiten der freien Entfaltung und Mitbestimmung wenig zu tun. Doch der Zugang zu gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Gütern erfolgt im Kapitalismus durch die Teilnahme am System Arbeit. Wer eine solche nicht hat oder gar nicht haben will, sieht sich einer umfassenden Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt – durch die Agentur für Arbeit, die Politik und die MitbürgerInnen. Ganz besonders tragisch ist das Leben für die MigrantInnen und Flüchtlinge in Leipzig. Im letzten Jahr diskutierte der Stadtrat den Bau einer neuen Unterkunft für Flüchtlinge am Stadtrand, in so genannter Systembauweise. Nicht nur dass mensch die Menschen damit ausschließt von der schönen, bunten Innenstadtwelt, damit ihnen auch Zugang zu kulturellen und sozialen Institutionen verwehrt, viel mehr möchte mensch die Asylsuchenden am Rande der Stadt konzentrieren, um so die MibürgerInnen vor diesen schützen zu können. Der Rassismus sitzt tief in Leipzig, insbesondere auch in den Köpfen diverser StadträtInnen. Das Heim wurde schlussendlich nicht gebaut, nicht etwa wegen humanen Bedenken sondern vielmehr auf Grund von kapitalistischen Realitäten, das Konzept war schlicht unfinanzierbar.
Die Stadt Leipzig befindet sich im Wandel. In den Stadtteilen Schleußig und Lindenau - Plagwitz erleben die BürgerInnen gerade umfassende Sanierungs- und Neuansiedlungsprojekte. Die schönen Altbauten oder ehemaligen Industrieanlagen werden aufwändig saniert und anschließend teuer weiter vermietet oder gar verkauft. Dazu kommen Projekte wie etwa ein geplantes neues Einkaufscenter in Leipzig Lindenau. Der schrittweisen Aufwertung der Stadtteile folgen schließlich die zahlreichen Auszüge der ehemaligen MieterInnen, da diese Miet- und Lebenskosten nicht mehr tragen können. VerliererInner jener Gentrifizierung sind all jene, die sich am unteren Rand der Gesellschaft befinden oder sich in sozialen, kulturellen Projekten organisiert haben. Hiergegen wächst jedoch der Widerstand, so dass dieses Jahr auf der 1.Mai Demo auch das Thema von Ausgrenzung und Gentrifizierung fokussiert werden soll.
Außerhalb von Leipzig ist das Leben oftmals noch viel weniger angenehm. Nicht nur dass auch hier Zwänge und Ausgrenzung funktionieren, das Leben wird außerdem durch die Existenz von starken Nazistrukturen massiv bedroht. Im Leipziger Umland existieren ganze Landstriche die ohne jeden Zweifel als Nazihochburgen bezeichnet werden können. Mügeln, Colditz, Delitzsch, das sind nur einige Namen, die es auch immer wieder in die bundesweite Presse geschafft haben, die hier zu nennen sind. Übergriffe auf Nicht-Deutsche, linke oder alternative Jugendliche sind im Leipziger Umland an der Tagesordnung. Nazis von Freien Kameradschaften und NPD Organisationen wie den Jungen Nationaldemokraten verfügen über feste, kontinuierlich starke Strukturen und sehen sich kaum entsprechenden Widerstand ausgesetzt. Die Zivilgesellschaft ist vielerorts gar nicht vorhanden oder besteht nur aus wenigen Akteuren, die sich einer großen Diffamierungswelle als „NestbeschmutzerInnen“ ausgesetzt sehen. Linke Strukturen haben es schwer ihre wenigen Freiräume zu halten, werden sie doch nicht nur durch Nazis bedroht, sondern auch durch jenen in Sachsen ganz besonders stark gelebten Extremismusansatz, wonach Linke ebenso als Feinde der Demokratie bekämpft werden müssten. Jene Politik sieht sich eher als Opfer einer Medieninszenierung, wie das Beispiel Mügeln zeigt und finden obendrein dass mensch kein Problem mit Nazis habe, da diese ohnehin von außerhalb kämen oder es sich gar nicht um Nazis, sondern um die heimischen Jungs und Mädels handeln würde. Diese Hegemonie bestehend aus Bedrohungen durch die Nazis und weitgehender Unfähigkeit von Politik und Zivilgesellschaft, soll ebenso durch das 1.Mai Bündnis thematisiert und fokussiert werden.
Erneut gilt es den Maifeiertag politisch zu gestalten. Das schöne Leben muss in vielen Bereichen erkämpft und gelebt werden. Der 1.Mai eignet sich für das 1.Mai Bündnis noch immer zur Forderung nach einer humanistischen Gesellschaft sowie zur Vermittlung von Kritik an Arbeit, Kapitalismus und regressiven gesellschaftlichen Tendenzen.
Das Programm für die einzelnen Veranstaltungen, welche bereits diese Woche beginnen, findet mensch auf dem BLOG des Bündnisses lebenaberwie.blogsport.eu. Dort gibt es auch die Aufrufe der einzelnen Teildemonstrationen sowie weitere Infos und Hinweise rund um den 1.Mai in Leipzig.
Die Hauptdemo startet am Wilhelm Leuschner Platz um 16 Uhr. Diesen Platz erreicht mensch bequem mit den Tramlinien 11 und 10 vom Hauptbahnhof.