Braune Standkundgebung

Erstveröffentlicht: 
14.02.2010

Braune Standkundgebung

Wegen des massiven zivilgesellschaftlichen Protests konnte der diesjährige „Trauermarsch“ in Dresden nicht stattfinden − die etwa 6400 Rechtsextremisten mussten sich vor dem Bahnhof mit Reden von Frank Rennicke und Björn Clemens begnügen. Auf der Rückreise randalierten Neonazis in mehreren Städten.


Lautes Gebrüll, provokante Gesänge und böse Parolen der Anführer konnten am Samstag nicht darüber hinwegtäuschen, dass die etwa 6400 Rechtsextremisten vor dem Bahnhof in der Dresdener Neustadt eine Niederlage erlebt hatten. Endlich, nach Jahren, war es am 13. Februar in der sächsischen Landeshauptstadt zu massiven bundesweit organisierten Protesten gegen den alljährlichen größten „Trauermarsch“ Rechtsextremer gekommen. Im Jahr zuvor noch konnten über 6000 Neonazis ungestört durch die Innenstadt marschieren, es gab keine Transparente, wenig sichtbare Aktionen, Gegendemonstration und Widerstand schienen eher halbherzig. Auch die CDU-Bürgermeisterin Helma Orosz zeigte wenig Ambitionen, den Neonazis 2009 etwas entgegenzusetzen. Viele Dresdner gingen lieber Shoppen oder blieben zuhause im Warmen.

 

Größtes Aufmarschritual in Europa

Unter Führung der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ (JLO), unterstützt von der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen, konnte es den Rechtsextremisten gelingen, die Bombardierung Dresden für revisionistische Zwecke und massiven Populismus zu nutzen und als größtes Aufmarschritual in Europa zu etablieren.

2010 sollte es anders kommen. Vor allem die Kampagne „Dresden Nazifrei“, unterstützt von zahlreichen Gruppen und Aktivisten setzten sich bereits im Vorfeld für den diesjährigen massiven Widerstand ein. Trotz Verkriminalisierungsversuche im Vorfeld, Hausdurchsuchungen und Platzverweise beteiligten sich vor allem Politiker der Grünen und der LINKEN, sowie die Jusos, an den entscheidenden Blockaden der Marschroute der Rechten, reihten sich bei den jungen Antifaschisten mit ein. Insgesamt beteiligten sich an den Aktionen in der alternativen Neustadt rund 10 000 Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet. Am anderen Elbufer in der Altstadt kamen etwa 15 000 Anti-Rechts-Engagierte zusammen, die sich mit Politikern, Gewerkschaftern, Künstlern und Vertretern zahlreicher Organisationen zu einer eindrucksvollen Menschenkette in der Altstadt formierten.

 

„Freie Kräfte“ in Flecktarnkleidung

Die Neonazis mussten sich bereits bei der Anreise massive Polizeikontrollen gefallen lassen. Gefährlich wurde es unter anderem, als hunderte Teilnehmer des Trauermarsches vom Stadtteil Wilder Mann aus in Richtung Neustädter Bahnhof mit Fahnen und Transparenten marschierten. Die Polizei war nur spärlich vertreten, immer wieder kam es zu Übergriffen. Flaschen oder Eisbrocken flogen. Unter den Anmarschierenden waren neben anderen Udo Pastörs, Holger Apfel, Udo Voigt, Peter Marx und Michael Regener alias Lunikoff. Die Anhänger des „Sozialen und Nationalen Bündnisses Pommern“ mussten einen Kameraden stützen, der bei einem Polizeieinsatz etwas abbekommen hatte. Eine andere Gruppe von „Freien Kräften“, einige in Flecktarnkleidung, rannte vor Gegendemonstranten weg. In Sicherheit brüllte ihr Anführer sie an, was für „Schlappschwänze“ und „Feiglinge“ sie doch seien.

Sechs Transporthubschrauber kreisten über der Stadt. Vor dem Bahnhof hatte die Polizei ein mit Gittern abgesperrtes Areal errichtet, in das die Neonazis nach einer Durchsuchung eintreten konnten. Aufgebracht rannte die Organisatoren von der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ (JLO) Kai Pfürstinger und Björn Clemens zwischen der Einsatzleitung der Polizei und ihren Anhängern hin und her. Journalisten wurden von den Beamten auf Abstand gehalten.

 

Vertreter der Neuen Rechten unter militanten Neonazis

Immer mehr Neonazis erreichten gegen 14.00 Uhr den Bahnhofsvorplatz. Nicht nur das Thema des „Trauermarsches“, die alliierte Bombardierung Dresdens 1945, sondern auch die Organisatoren wirken anziehend auf die gesamte Bandbreite des braunen Spektrums. So reihten sich neben Neonazi-Skinheads, Anhängern verbotenen Gruppen wie der „Fränkischen Aktionsfront“, Aktivisten des „Freien Netzes“ wie in jedem Jahr Burschenschafter, Bündische und Völkische ein. Hieß es auf den gepolsterten Shirts tätowierter Glatzköpfe „Public enemy“ oder „Enjoy the combat“, so bevorzugten die Anhänger der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ lieber grüne Lodenmäntel, wie Silvia Kirschner und ihre Gruppe aus Thüringen. Mit dabei waren der ehemalige HDJ-Anführer Sebastian Räbiger, seine „Einheitsführer“ Martin Götze und Ragnar Dam, wie auch Christian von Velsen, Gerd Ulrich, Andreas Theißen, Nachwuchskräfte und zahlreiche junge Frauen.

Im Pulk der Völkischen fanden sich überraschend auch Ellen Kositza und Götz Kubitschek, Vertreter der so genannten „Neuen Rechten“, Initiatoren des „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda, ein. Kositza ist auch Autorin für das neurechte Blatt „Sezession“. Hier in Dresden mischten sie sich unter vorbestrafte Neonazis wie Christian Hehl aus Ludwigsburg, Ewiggestrige wie die wegen Volksverhetzung verurteilte Anführerin des „Ring Nationaler Frauen“ Edda Schmidt oder militanter Gruppen wie der Kameradschaft „Braune Teufel Vogtland“ oder dem „Heidnischen Sturm Pforzheim“. Der Anlass verbindet.

 

„Freiheit für Horst Mahler“

Währenddessen betrat Liedermacher Frank Rennicke, ehemaliger Anhänger der „Wiking-Jugend“, als erster Redner die Bühne. Ebenso wie sein Nachfolger Björn Clemens, wetterte er gegen Gegendemonstranten und Polizei. Wenig im Sinne der Teilnehmer aus dem Umfeld der „Neuen Rechten“ mag auch die lautstark geschrieene Forderung des Düsseldorfer Rechtsanwalts gewesen sein: „Freiheit für Horst Mahler“.

Unter den Demonstranten waren auch Neonazis aus Spanien, mit einem Transparent „Die 250. spanische Freiwilligen Division“, Schweden und einer Delegation aus Tirol in Österreich. Warm eingekleidet unterhielten sich NPD-Politiker um Voigt mit dem DVU-Vorsitzenden Matthias Faust, der immer wieder in die Kameras lächelte. Erfahrungsgemäß zieht der Trauermarsch in Dresden auch zahlreiche alte und junge Frauen an. Die „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ war ebenso vertreten wie die Anhängerinnen Jasmin Apfel oder Gitta Schüßler vom „Ring Nationaler Frauen“. Hessische Neonazistinnen in roten Jacken organisierten den sanitären „Ersthelfer“-Einsatz mit. In den laufenden zwei Stunden stellten sich JN-Anhänger, Aktivisten der „Autonomen Nationalisten“(AN), Neonazis mit Fahnen und den Aufschriften Göppingen oder Ortenau immer wieder in Formation auf, gewillt, endlich loszumarschieren.

 

„Großvater wir danken dir“

Als immer klarer wurde, dass es bei einer Standkundgebung bleiben werde, der Marsch wegen der Blockaden endlich abgesagt wurde, brüllten die Organisatoren beruhigende Worte ins Mikrophon, ungeachtet dessen drängten völkische und schwarzgekleidete ANs gemeinsam in Richtung Absperrung. Polizisten setzten ihre Helme auf, eine Sondereinheit formierte sich in der Nähe. Es wurden Lieder wie „Ein junges Volk steht auf“ und Sprechchöre mit Parolen wie „Straße frei der deutschen Jugend“ angestimmt. Viele sangen „Deutschland, Deutschland über alles“ oder brüllten „Wir sind das Volk“. Flaschen, Holzleisten und dicke Schneebrocken flogen Polizisten und Journalisten entgegen. Doch die aufgeheizte Stimmung verebbte schnell wieder, es schien weder eine einstimmige Haltung noch klare einheitliche Ansagen zu geben, gegen die Barrikaden der Polizei vorzugehen.

Im Gegenteil, vielen Neonazis schien inzwischen nach stundenlangem Herumstehen eiskalt zu sein. Froh erschienen manche, endlich in die warme Bahnhofsvorhalle zu kommen. Ein Transparent mit der menschenverachtenden Provokation „Großvater, wir danken dir“ wurde eingepackt.

 

Dennoch waren Enttäuschung und massive Aggression in den Reihen der Neonazis zu spüren. Viele sahen das Marschverbot als Schmach an. Beobachtern wurde schnell klar, dass es auf der Heimfahrt zu Ausfällen kommen würde. Tatsächlich randalierten Neonazi-Rückkehrer in Gera, rund 400 versuchten in Pirna einen Spontanaufmarsch. Eine wütende Blondine ließ bereits in Dresden ihrer Wut freien Lauf, sie beschimpfte und beleidigte in der Bahnhofsvorhalle den Besitzer eines asiatischen Stehimbisses.