Krawalle in der Südvorstadt & Connewitz aus Sicht der Polizei: Konnte das gutgehen? (Teil 2) + Videos

Erstveröffentlicht: 
13.12.2015

„Sofern keine wirklich dringenden Rückfragen bestehen, bitten wir nach dem nunmehr 15-stündigen Arbeitstag, aufschiebbare Nachfragen auf morgen bzw. auf Montag zu vertagen.“ Mit diesem verständlichen Wunsch an die Presse selbst beginnt eine fast zweiseitige erste Auswertung an die Presse durch die Leipziger Polizeidirektion über die Ereignisse am 12. Dezember in der Leipziger Südvorstadt. Womit gleichzeitig indirekt die enorme Belastung deutlich wird, der sich die Beamten am Samstag gegenüber sahen. Dies zeigen auch die Videos, welche derzeit im Netz kursieren und eigene Aufnahmen der L-IZ.

 

Das Wichtigste vorab, das Dementi eines Gerüchtes, welches auch durch ein Video von RT Deutsch genährt wurde, es könnte jemand bei den gestrigen Ausschreitungen verstorben sein. Ein junger Mann war bei einer Gewahrsamnahme ohnmächtig geworden und später mit einem offenbar epileptischen Anfall ins Krankenhaus gebracht worden. (Anm. d. Red.: Da unserer Meinung nach die Persönlichkeitsrechte des Mannes nicht gewahrt wurden, zeigen wir dieses Video nicht).

 

„Die im Internet kursierende Meldung, wonach ein Versammlungsteilnehmer verstorben sei, können wir nicht bestätigen. Nach unseren Informationen, die aber aufgrund bestehender ärztl. Schweigepflichten noch nicht schlussendlich bestätigt werden konnten, wurde für einen jungen Mann infolge eines wohl epileptischen Anfalls eine ärztliche Behandlung notwendig. Der Betroffene soll das Krankenhaus aber bereits wieder verlassen haben – zu Fuß.“, so die Polizeidirektion Leipzig am späten Abend in ihrer Einleitung.

 

Doch auch so liest sich der Bericht der Polizeidirektion Leipzig (PD Leipzig) wie eine Auflistung von Kriegsschauplätzen rings um den späteren Kulminationspunkt Südplatz. Der eigentliche Aufzug der „rechtspopulistischen Bündnisse `Offensive für Deutschland` (OfD), Thügida und die Partei Die Rechte“, welcher von der Kurt-Eisner-Straße Höhe Altenburger Straße, über die Kurt-Eisner-Straße, Arthur-Hoffmann-Straße bis zum Ort der Zwischenkundgebung in der Arndtstraße und wieder zurück zum Ausgangsort geführt hatte, habe um 15:49 Uhr fast störungsfrei geendet.

 

Nicht der Arbeitstag der Beamten, die damit ihr kleinstes Problem am 12. Dezember gelöst hatten.


Denn parallel hatte sich aus Sicht der Polizei bereits seit dem Morgen eine Art Guerilla-Krieg von bis zu 1.000 Personen angebahnt, dessen Eskalation von Stunde zu Stunde anschwoll. „Ein erstes Zeichen … setzten Unbekannte am zeitigen Vormittag, gegen 08:00 Uhr, als sie in S-Bahn-Kabelschächten nahe der Haltepunkte Connewitz und Plagwitz Brandsätze entzündeten. Offensichtlich sollte hierdurch die Anreise der Rechtspopulisten erschwert werden, allerdings waren Reisende der Strecken Gera – Leipzig sowie Markkleeberg – Leipzig insgesamt betroffen.“ Richtete sich dieser Anschlag noch gegen die Anreisenden zum rechtsextremen Aufmarsch rings um Worch, OfD und Die Rechte, verlagerte sich das eigentliche Geschehen rasch Richtung Attacken auf die Polizei.

 

Während diese „durch Absperrgitter das direkte Aufeinandertreffen der konträren Lager“ beim Rechten-Aufzug habe verhindern können und eine Sitzblockade auf der Strecke an der Arthur-Hoffmann-Straße durch 30 Personen aufgrund der polizeilichen Räumung nur von kurzer Dauer war, nahmen „Linksautonome die konsequente Trennung nun zum Anlass, ihre Aggressionen in massivster Form gegenüber der Polizei auszuleben.“ Erster Hotspot, bereits vor dem Aufmarsch der Rechtsextremen, die Karl-Liebknechtstraße, Ecke Kurt-Eisner. Hier kam es laut Polizei zu „Ausschreitungen durch ca. 300 Linksautonome. Die Situation machte den Einsatz von Wasserwerfern und Reizgas ebenso erforderlich, wie es auch zu späteren Zeitpunkten unumgänglich war.“

 

Zum Video: Was jedoch bei der eigentlich ruhigen Situation am Amtsgericht Leipzig geschah, welche die Mopo24 umgehend am Samstag ins Netz stellte, ist damit nicht ganz geklärt. Hier entscheidet ein Beamter den Einsatz von Reizgas, obwohl – zumindest im Videoschnipsel – keine Gewalt von der Gegenseite sichtbar wird. Dennoch kann man bereits hier die ersten Vermummten erkennen.


Der Hauptpunkt der Randale durch laut PD Leipzig bis zu „1.000 vermummte Gewalttäter“ entwickelte sich dann am Südplatz. Diese „ … brachen faustgroße Steine aus dem Gehwegpflaster und bewarfen mit diesen Polizeibeamte und -fahrzeuge.“ Die Auflistung der wahrgenommenen Straftaten ist derart lang, dass man sich wohl kaum wundern muss, wenn der friedliche Protest auf den acht angemeldeten Demonstrationen dabei unterging. Er war an diesem Tag nahezu bedeutungslos, angesichts der Entladung von Gewalt. Wie viele Beamte eingesetzt waren, ist derzeit noch unklar. Die Zahlen schwanken zwischen 800 und über 2.000.

 

Die Polizei zum Hauptort der Auseinandersetzungen: „Die Anzahl der Wurfgeschosse dürfte dabei deutlich dreistellig gewesen sein. Nach dem dortigen Auffahren der Wasserwerfer zog der Personenkreis überwiegend stadtauswärts entlang der Karl-Liebknecht-Straße, wobei Mülltonnen und Verkehrsleittechnik (Plastikelemente) auf die Straße gezerrt und in Brand gesetzt wurden. Zerstörte Haltestellen, entglaste Fenster von Geschäften, Kreditinstituten, zerstörte Fahrzeuge, verbrannte Container und Reifenstapel vollendeten das Bild der Zerstörungswut und Aggression. Auch im Stadtteil Connewitz wütete der aufgebrachte Mob; ca. 100 – 130 Personen zerschlugen am Kreuz zahlreiche Scheiben verschiedenster Geschäfte. Selbst vor Gewalttätigkeiten gegenüber Einsatzkräften der Feuerwehr und anderen Hilfskräfte schreckten sie nicht zurück.“

 

Ein privates Video zeigt massive Gewalt von Randalierern am Südplatz

 

Zum Video: Ein privat gedrehtes Video zeigt Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Randalierern am Südplatz an der Schenkendorfstraße. Zwischenzeitlich müssen die Einsatzkräfte aufgrund der massiven Steinwürfe zurückweichen.


Zudem hätten sich die Gewalttäter immer wieder und „viel zu oft unter friedliche Protestteilnehmer mischen können, wobei es aus polizeilicher Sicht wünschenswert gewesen wäre, wenn sich die friedlichen Protestteilnehmer stärker und aktiver abgegrenzt hätten. Dies gilt insbesondere für die Zeitpunkte, an welchen der Einsatz von Zwangsmitteln unumgänglich war.“

 

Was letztlich nichts weiter heißt – Schäden auch für Unbeteiligte durch das versprühte Reizgas konnten da kaum noch vermieden werden, man konnte kaum noch unterscheiden im Gewimmel. Dem Pfarrer Lothar König wirft man im Nachgang hingegen wieder das vor, was schon in Dresden vor Gericht in einem „Vergleich“ endete. „Ein Versammlungsteilnehmer, der wegen Beteiligung am Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Präventivgewahrsam genommen und dessen Fahrzeug – aus dem heraus er seinerseits agierte – als Tatmittel beschlagnahmt wurde, konnte nach Wegfall der Gewahrsamsgründe die Polizeidienststelle samt Transporter wieder verlassen.“

 

Das Fazit des Samstagabends seitens der Polizei: „Mit 50 Verstößen gegen das StGB, BtMG, SprengstoffG und Versammlungsgesetz, 23 Gewahrsamsnahmen, 69 verletzten Beamten – wobei zwei Polizisten, einer von ihnen, mindestens vier Wochen dienstunfähig ist, mehreren verletzten Protestteilnehmern, 50 beschädigten Dienstfahrzeugen – wovon vier nicht mehr fahrbereit sind, wird das Ausmaß des heutigen Gewaltexzesses greifbar.“

 

„Hau ab!“ & „Verpiss Du Dich Alter!“

 

Zu den beiden L-IZ – Videos: „Hau ab“ „Verpiss Du Dich Alter“ – Versprengte Polizeibeamte finden sich am Rande des öffentlichen Geschehens in einer seltsamen Lage Auge in Auge mit Vermummten wieder. Minutenlang kommt keine Verstärkung, während sich anfangs zwei, später mehr Beamte einer Überzahl von Autonomen gegenüber sehen. Ein surrealer Fechtkampf mit Zaunslatten schließt sich an (Video 2). Deutlich wird hier zumindest, dass es angesichts der sich entfaltenden Gewalt an vielen Orten für die Zahl der eingesetzten Beamten nahezu unmöglich war, den Überblick zu behalten oder die Randale wirksam zu deeskalieren. Die Auseinandersetzung hier zumindest endete ohne Verletzte.


Eine ungewöhnliche Bemerkung senden die Beamten noch hinterher: „In Betrachtung dieser Zahlen ist dem Statement des Oberbürgermeisters Burkhard Jung nichts hinzuzufügen.“ In diesem (auf L-IZ nachhörbaren) Statement war neben einer deutlichen Verurteilung der Gewalt auch der Hinweis enthalten, dass es mal wieder zu wenige Beamte gewesen sein könnten, welche sich hier einer unübersichtlichen Situation und einem Gewaltpotential gegenüber sahen, welches Leipzig zuletzt in den frühen 90ern erlebt hatte. Damals hatte sich in Reaktion auf das Erstarken rechtsradikaler Tendenzen in  Sachsen eine autonome Szene herausgebildet, welche aufgrund ihrer Härte und des Organisationsgrades rasch deutschlandweite Bedeutung gewann. Und den bis heute funktionierenden Mythos von Connewitz gebar.

 

Für den 12. Dezember 2015 steht zu vermuten, dass neben Leipziger Autonomen eine langfristige deutschlandweite Mobilisierung zur Anzahl der Teilnehmer an den Ausschreitungen ebenso beigetragen haben dürfte, wie das erneute Erstarken rechtsradikaler Tendenzen in Sachsen seit 2014.

 

Der „WochenEndSpiegel“ aus Chemnitz zeigt einen weiteren Querschnitt des Tages