Neu bei bahoe books: Kommunisierung

Kommunisierung Band 1

Die Kommunisierungsreihe in Zusammenarbeit mit kommunisierung.net:

Band 1: Doc Sportello (Hg.), Die Revolution als Kommunisierung. Kommunisierung Band 1 | 141 Seiten | 2014 Die Kommunisierung beschreibt eine kommunistische Revolution ohne Übergangsphase, eine Revolution nicht «für den Kommunismus, sondern durch den Kommunismus». Durch die Ergreifung kommunistischer Massnahmen wird gleichzeitig der kapitalistische Feind geschwächt und die post-revolutionäre Welt skizziert. Aufgekommen ist der Begriff in den intensiven theoretischen Debatten in den links-kommunistischen Milieus in Frankreich nach dem Mai 1968.

 

Band 2: Doc Sportello (Hg.), Ausschreitungen und andere Qualen. Kommunisierung Band 2 | 134 Seiten | 2014

 

Die Kommunisierung beschreibt eine kommunistische Revolution ohne Übergangsphase, eine Revolution nicht «für den Kommunismus, sondern durch den Kommunismus». Durch die Ergreifung kommunistischer Massnahmen wird gleichzeitig der kapitalistische Feind geschwächt und die post-revolutionäre Welt skizziert. Aufgekommen ist der Begriff in den intensiven theoretischen Debatten in den links-kommunistischen Milieus in Frankreich nach dem Mai 1968.
Der zweite Band der Reihe vereint vor allem Beiträge aus dem Umfeld der griechischen Gruppe Blaumachen über die verschiedene Aufstände in England, Schweden, der Türkei und Griechenland, Nordafrika und im Nahen Osten und versucht sich in einer Analyse der globalen Krise (die im Jahr 2008 begonnen hat) und der gegenwärtigen Sequenz des Klassenkampfes.

 

Band 3: Doc Sportello (Hg.), Gender und Klassen. Kommunisierung Band 3 | 176 Seiten | 2014

 

Wichtig für uns war es, eine Analyse des Verhältnisses zwischen Gender und Klassen in der heutigen Zeit zu wagen, insbesondere zu analysieren, wie sich dieses Verhältnis seit den 1970er Jahren entwickelt hat und was diese Entwicklung bedeutet. Es ist offensichtlich, dass die Männerherrschaft immer noch präsent ist. Was weniger offensichtlich ist, ist ihr eventuelles Verschwinden. Kann man sie zerstören? Wie? Was können die Rolle und der Einfluss der «Revolutionäre» in diesem Verschwinden sein? Ist eine spezifische «antipatriarchale» Aktion notwendig? Frauen unter sich?
Es handelt sich für uns nicht um ein kleines intellektuelles Spiel, denn, wenn diese Fragen in einer revolutionären Perspektive von Bedeutung sind, dann haben sie auch einen Einfluss auf unsere alltägliche Praxis.

 

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Aus dem Vorwort der Reihe, zur Einführung von Doc Sportello (Hg.):

 

P.sdfootnote { margin-left: 0.6cm; text-indent: -0.6cm; margin-bottom: 0cm; font-size: 10pt; }P { margin-bottom: 0.21cm; }A:link { }A.sdfootnoteanc { font-size: 57%;Die Kommunisierung beschreibt eine kommunistische Revolution ohne Übergangsphase, eine Revolution nicht „für den Kommunismus, sondern durch den Kommunismus“1. Durch die Ergreifung kommunistischer Massnahmen wird gleichzeitig der kapitalistische Feind geschwächt und die post-revolutionäre Welt skizziert. Aufgekommen ist der Begriff in den intensiven theoretischen Debatten in den linkskommunistischen Milieus Frankreichs nach dem Mai 1968. Der Begriff wird in der Regel Gilles Dauvé zugeschrieben, der ihn als erster in der Zeitschrift Le Mouvement Communiste gebraucht haben soll2.

In Zusammenarbeit mit anderen Linkskommunisten wie François Martin und Karl Nesic versuchte Dauvé, verschiedene linkskommunistische Strömungen zusammenzubringen, zu kritisieren und weiterzuentwickeln, z.B. die italienische Bewegung, die mit Amadeo Bordiga in Verbindung gebracht wurde, die Zeitschrift Invariance von Jacques Camatte, den deutsch-holländischen Rätekommunismus und französische Strömungen wie Socialisme ou Barbarie und die Situationistische Internationale.

Diese theoretischen Entwicklungen hängen stark mit der erstmaligen Übersetzung zentraler Marxscher Texte zusammen. Die Grundrisse der politischen Ökonomie erschienen zum ersten Mal 1967-1968 auf Französisch und hatten einen beträchtlichen Einfluss auf die Debatten im linkskommunistischen Milieu Frankreichs. Auch der Entwurf des Kapitels 6 des Kapitals, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, erschien 1968 zum ersten Mal auf Französisch in der Gesamtausgabe der Pléiade, herausgegeben von Maximilien Rubel und Louis Janover.

Neben dem Milieu um Gilles Dauvé ist die Zeitschrift Théorie communiste eine weitere theoretische Quelle der Kommunisierung. Die Gruppe konstituierte sich 1975 und die erste Nummer von Théorie communiste erschien 1977. Einige Mitglieder gaben 1972 und 1973 die Zeitschrift Intervention communiste heraus und waren zuvor an der Zeitschrift Cahiers du Communisme de Conseil beteiligt. Diese war verbunden mit der Information Correspondance Ouvrières, aus welcher nach 1973 Échanges et mouvements entstand.

Im Gegensatz zu Dauvés Ansatz war für Théorie communiste die Kommunisierung nicht schon immer möglich, sondern wurde erst durch die „Restrukturierung“ des Kapitalismus in den 1970er Jahren möglich gemacht3. Diese „Restrukturierung“ ist für Théorie communiste das Ende eines Kampfzyklus und beginnt grosso modo nach der Ölkrise 1973. Dieser neue Zyklus ist gleichbedeutend mit dem Beginn der zweiten Phase der reellen Subsumtion und v.a. dem Ende der Arbeiterbewegung: „Diese Arbeiteridentität, wie auch immer die sozialen und politischen Formen ihrer Existenz sein mögen (von den kommunistischen Parteien bis zur Autonomie; vom sozialistischen Staat bis zur den Arbeiterräten), gründete in ihrer Totalität auf dem Widerspruch, der sich in dieser Phase der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital entwickelte, zwischen, einerseits, der Schaffung und Entwicklung einer Arbeitskraft, die vom Kapital auf eine immer kollektivere und sozialere Art und Weise bewerkstelligt wurde, und, andererseits, den Formen der Aneignung dieser Arbeitskraft durch das Kapital im unmittelbaren Produktions- und im Reproduktionsprozess. Das ist die konflikgeladene Situation, die sich in diesem Kampfzyklus als Arbeiteridentität entwickelte, die ihre Prägungen und ihre unmittelbaren Auffassungsmodalitäten in der „grossen Fabrik“ fand; in der Dichotomie zwischen Anstellung und Arbeitslosigkeit, Arbeit und Ausbildung; in der Unterwerfung des Arbeitsprozesses unter das Sammeln der Arbeiter; im Verhältnis zwischen Löhnen, Wachstum und Produktivität innerhalb eines nationalen Territoriums; in den institutionellen Repräsentationen, welche all dies implizierte, sowohl in der Fabrik als auch auf Staatsebene; in der Abriegelung der Akkumulation innerhalb eines nationalen Territoriums.“4

Dieser neue Zyklus des Kapitalismus ist die materielle Grundlage für jenen wirtschaftspolitischen Ansatz, welche Linke gemeinhin als Neoliberalismus bezeichnen. Doch im Gegensatz zur idealistischen Idee, dass das Aufkommen dieser Ideologie dem Keynesianismus den Gnadenstoss versetzt hat, ist es eher so, dass diese Ideologie eben genau das reale Scheitern des Keynesianismus zur Grundlage hat. Diese Restrukturierung hatte beträchtliche Konsequenzen für die Modalitäten der kapitalistischen Ausbeutung: „Die Restrukturierung als Niederlage, Ende der 1960er Jahre und während den 1970er Jahren, dieses auf die Arbeiteridentität gegründeten Kampfzyklus hatte als Inhalt die Zerstörung all dessen, was zu einem Hindernis der Fluidität der Selbstvoraussetzung des Kapitals geworden war. Man fand einerseits alle Trennungen, Absicherungen, Vorschriften, welche der Wertminderung der Arbeitskraft entgegen standen, da sie verhinderten, dass die gesamte Arbeiterklasse, weltweit, in der Kontinuität ihrer Existenz, ihrer Reproduktion und ihrer Vergrösserung, sich als solche dem gesamten Kapital stellen musste. Man fand andererseits alle Zwänge des Kreislaufs, des Umschlags, der Akkumulation, welche die Umwandlung der Überproduktion in Mehrwert und zusätzliches Kapital verhinderten. Jegliche Überproduktion muss überall ihren Markt, jeglicher Mehrwert überall seine Möglichkeit, als zusätzliches Kapital zu operieren, d.h. die Möglichkeit, sich in Produktionsmittel und Arbeitskraft umzuwandeln, finden können, ohne dass eine Formalisierung des internationalen Zyklus (Ostblock, Peripherie) diese Umwandlung überbestimmt. Das Finanzkapital war der leitende Architekt dieser Restrukturierung. Mit der in den 1980er Jahren vollendeten Restrukturierung fallen die Mehrwertproduktion und die Reproduktion der Produktionsbedingungen desselben zusammen.“5 Detailliertere Ausführungen zu Théorie communiste und dem Milieu um Gilles Dauvé findet man in den beiden Texten „Bringt eure Toten raus“ und „Théorie communiste und Troploin“ in diesem Band.

Begleitet wurde dieser epochale Wandel von einem „Bruch in der Theorie der Revolution“, wie es im Titel eines 2003 veröffentlichten Buches von den Éditions Senonevero, dem Verlag von Théorie communiste, formuliert wurde6. Der zentrale Widerspruch der Situationistischen Internationalen ist Ausdruck dieses Wandels: „Die Arbeiterräte bewahren die Abschaffung der Arbeit vor der Gefahr, keine Handlung der Klasse mehr und die Abschaffung der Arbeit bewahrt die Arbeiterräte davor, nur eine Affirmation dieser Klasse zu sein. Die situationistische Theorie kann die Negation nur als Affirmation von etwas anderem hervorbringen.“7 Die Texte „Der Aktivismus als höchstes Stadium der Entfremdung“ und „Nieder mit dem Proletariat“ in diesem Band sind Ausdrücke dieses „Bruchs in der Theorie der Revolution“.

Im Jahr 2004 wurde die Zeitschrift Meeting lanciert. Diese „internationale Zeitschrift zur Kommunisierung“ (in Tat und Wahrheit war es eher eine „französische Zeitschrift zur Kommunisierung“) brachte Théorie communiste und verschiedene Einzelpersonen hauptsächlich aus Paris zusammen. Auch Gilles Dauvé und Karl Nesic hatten eine Einladung erhalten, an diesem Projekt teilzunehmen, sie haben diese jedoch aufgrund ihrer Meinungsverschiedenheiten mit Théorie communiste abgelehnt: „Falls wir (gemäss TC) in einen idealistischen Humanismus abgleiten oder falls TC (gemäss uns) in einen deterministischen Strukturalismus abgleitet, verhindert das jegliche gemeinsame theoretische Arbeit und macht sogar jegliche Diskussion schwierig. Wir können nur debattieren, wenn wir uns im wesentlichen einig sind, wenn wir uns einig sind bezüglich der zu stellenden Fragen und diese einfach anders beantworten.“8

Ein anderes Milieu aus Paris beteiligte sich hingegen an Meeting, es war damals als „les tiqquniens“ („die Tiqqunianer“) bekannt. Diese Bezeichnung leitet sich vom Namen der Zeitschrift Tiqqun ab, von welcher zwischen 1999 und 2001 zwei Nummern erschienen9. Diese Zusammenarbeit sollte allerdings nicht lange dauern: 2005 wurde der Text „Appel“ („Aufruf“) zur Veröffentlichung in Meeting Nr. 2 vorgeschlagen. In diesem Text wird die Kommunisierung folgendermassen konzipiert: „So wie wir es verstehen, kann der Prozess der Einführung des Kommunismus' nur die Form eines Gefüges von Akten der Kommunisierung annehmen; durch das Teilen dieses und jenes Raumes, dieser und jener Geräte, dieses und jenes Wissens. Das heißt die Ausarbeitung der Formen des Teilens, die mit ihnen verknüpft sind. Der Aufstand an sich ist nur ein Beschleuniger, ein entscheidender Moment in diesem Prozess.“10

Die Veröffentlichung dieses Texts in Meeting wurde abgelehnt, stattdessen wurden zwei Texte veröffentlicht, welche diesen kritisierten, „Un autre emploi de l'argent“ („Ein anderer Gebrauch des Geldes“) und „Réflexions autour de 'l'Appel'“ („Überlegungen zum 'Aufruf'“). Diese Texte kritisieren die Konzeption des Kommunismus als einfaches Teilen und die Abwesenheit jeglicher Klassenanalyse. Der zentrale Kritikpunkt ist jedoch die Idee, der Kommunismus wäre bereits innerhalb des Kapitalismus möglich: „Wenn man keine Vorbedingung für den Kommunismus im Sinne von Übergangsphase, Vergesellschaftung der Produktionsmittel, der Tätigkeiten usw. voraussetzt, ist es offensichtlich, dass man meinen könnte, die kommunisierende Tätigkeit sei hier und jetzt möglich, in den gegenwärtigen Bedingungen der durch das Geld, das Privateigentum, die Zirkulationsweise der Güter, Reichtümer, Wissen usw. vermittelten Beziehungen, anders gesagt, in den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen dieser Gesellschaft. Unter diesen Bedingungen ist das Niveau der Kommunisierung gleichbedeutend mit der Kaufkraft einer mehr oder weniger homogenen gegebenen gesellschaftlichen Gruppe. Vom immediatistischen Standpunkt aus könnte man meinen, die Erschaffung von Netzwerken der Kooperation, in Form von Orten, Gemeinschaften, „kommunisierten Bauernhöfen“ sei schon das Erleben und die Praxis des Kommunismus. Doch diese Praxis entspricht dem historischen Kontext der westlichen Demokratie. Und hängt im wesentlichen vom Regime der Warenfreiheit ab: Wer bezahlen kann, kann wählen. Wenn die Kommunisierung die Verwandlung, die allgemeine Verbreitung, die hegemonial werdende Ausbreitung einer neuen Art der gesellschaftlichen Beziehung ist, welche das Kapital beseitigt (d.h. die Klassen, die Ausbeutung usw.), so sind die im Territorium der kapitalistischen Totalität zerstreuten Praktiken der Zusammenlegung wie genauso viele virale Phasen des Übergangs des gesamten gesellschaftlichen „Organismus“ des Kapitals hin zur Kommunisierung. Doch während man auf diese Verallgemeinerung wartet, sind es die kapitalistischen Zugangsbedingungen, welche die Zusammenlegung bestimmen.“11

Daraufhin verliessen die Tiqqunianer (die in der Folge eher Appelisten genannt werden) das Projekt und Paris selbst, um ihre Konzeption der Kommunisierung in Tarnac und den umliegenden Gemeinden zu verwirklichen. Im Gegensatz zu ihren Kritikern, welche bis 2008 noch zwei weitere Nummern von Meeting herausgaben, bevor das Projekt eingestellt wurde, wurden sie dank der Affäre von Tarnac 2008 und der Veröffentlichung des Buches Der kommende Aufstand12 weltweit bekannt. Die deutschsprachige Öffentlichkeit kann jedoch an dieser Stelle beruhigt werden: Es handelt sich weder um Nazis13, noch um das „wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit“14 oder den „radikalste[n] und problematischste[n] Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Unbehagens“15, sondern schlicht um ein postmodernes Pamphlet einiger Pariser Autonomer, welche ins französische Hinterland umzogen, um ein bisschen Kommunismus zu spielen, und dabei vermutlich aufgrund der dilettantischen Arbeit eines britischen Spions ins Visier des Antiterrorgesetzes gerieten16.

Doch auch die Arbeit von Théorie communiste inspirierte Projekte ausserhalb Frankreichs, obwohl ihnen eine Erwähnung in den Feuilletons der bürgerlichen Zeitungen nicht vergönnt war. In Schweden entstand 2002 die Zeitschrift riff-raff und in Griechenland 2006 Blaumachen. In England spalteten sich die Beteiligten der Zeitschrift Aufheben 2005 nach einer gemeinsamen Lektüre einiger Texte von Théorie communiste17 ab und aus dieser Spaltung entstand die Zeitschrift Endnotes. Ausserdem entstand in Italien das Kollektiv Il lato cattivo und in Tschechien Přátelé komunizace, welche v.a. Texte übersetzen, aber manchmal auch selber Texte verfassen. Aus der Begegnung dieser Kollektive entstand die – dieses Mal wirklich internationale – Zeitschrift Sic.

Die erste Nummer von Sic erschien im November 2011 und die zweite im Februar 2014. Allerdings hat Théorie communiste in der Zwischenzeit (im August 2013) das Projekt verlassen. Diese Entwicklung hat einerseits theoretische, andererseits konkrete Gründe. Der konkrete Anlass, welcher zur Spaltung führte, war eine Reihe von sexistischen Beleidigungen eines Beteiligten von Sic gegenüber einer Beteiligten am Treffen in Campestre im Sommer 201318. Der theoretische Grund hingegen ist die Einführung eines Genderwiderspruchs von Théorie communiste seit der 2012 veröffentlichten Nr. 24. In dieser theoretischen Entwicklung kommt Théorie communiste zum Schluss, dass der Klassenwiderspruch nicht genügt, um die kapitalistische Gesellschaft zu definieren. Viel mehr generiert das Kapital als prozessierender Widerspruch zwei Widersprüche, den Klassen- und den Genderwiderspruch: „Der Widerspruch zwischen den Männern und den Frauen ist die Genderunterscheidung, so wie er existiert und sich abspielt, er erlaubt uns, von der Notwendigkeit seiner Aufhebung und der Notwendigkeit der Aufhebung aller Vermittlungen für den „Erfolg“ der Kommunisierung zu sprechen. Wir analysieren die Genderunterscheidung vom Standpunkt ihrer Aufhebung aus, weil wir von ihrer konkreten, aktuellen Existenz ausgehen. Die diesem Widerspruch eigene Dynamik lässt ihn als Besonderheit der Totalität existieren, welche das Kapital als prozessierender Widerspruch ist. Die Frauen wollen nicht bleiben, was sie sind, wie es Marx bezüglich der Proletarier in der Deutschen Ideologie formulierte. Sie wollen nicht bleiben, was sie sind, weil ihre eigene Situation ein Widerspruch in der kapitalistischen Produktionsweise und durch sie ist: die Arbeit als Problem (der „auftauchende Widerspruch“, die Bevölkerung als prinzipielle Produktivkraft im Kapitalismus ist nicht mehr selbstverständlich, die natürliche Unterscheidung wird durch die Kontingenz untergraben). Doch die Arbeit als Problem nimmt nicht die Form vom Frauenkampf an, die Arbeit als Problem ist gleichbedeutend mit dem Kampf der Frauen gegen ihre eigene Definition als solche.“19

Diese theoretische Entwicklung führte unter den Beteiligten von Sic einerseits zu einer intensiven Diskussion der Genderfrage, andererseits zu einer Hinterfragung des hegelianischen Begriffs des „Widerspruchs“. Für Endnotes ist es sowohl sinnlos von Klassen- als auch von Genderwiderspruch zu sprechen: „Für uns hat ein Widerspruch zwischen Arbeitern und Kapital genauso wenig Sinn wie einer zwischen Männern und Frauen. Eigentlich ist der einzige „Widerspruch zwischen“ jener, mit welchem Marx die erste Ausgabe des Kapitals beginnt, nämlich der Widerspruch zwischen Gebrauchs- und Tauschwert20. Letztendlich sind kapitalistische gesellschaftliche Beziehungen widersprüchlich, weil sie auf dem Tausch äquivalenter Werte beruhen – gemessen durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zu ihrer Produktion – und gleichzeitig untergraben sie diese Grundlage, weil sie dazu tendieren, menschliche Arbeitskraft vom Produktionsprozess zu verdrängen (das drückt sich paradoxerweise als Arbeitsüberlastung für die einen und komplette oder partielle Arbeitslosigkeit für andere aus). Die Wirtschaft ist also eine gesellschaftliche Tätigkeit, welche auf einem logischen Widerspruch basiert, dieser breitet sich in der Zeit als Unfreiheit aus, als praktische Unmöglichkeit für die menschlichen Wesen, zu sein, was sie sein müssen: 'Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung.'21 Dieser Widerspruch verursacht etliche Antagonismen innerhalb kapitalistischer Gesellschaften, der Klassenantagonismus ist einer davon. Andere existieren: Ethnie, Gender, Sexualität, Nation, Handel oder Fähigkeiten, religiöser Glaube, Status Immigrant usw. Es wäre unmöglich, alle Antagonismen der kapitalistischen Gesellschaft zu denken, wenn Antagonismus und Widerspruch nicht klar abgegrenzt würden (sonst wäre es notwendig, sich für jeden Antagonismus einen anderen Widerspruch einfallen zu lassen).“22

Auch das Vorwort der zweiten Nummer von Sic bezieht sich auf den Abschiedstext von Théorie communiste. Es liegt vermutlich v.a. an der Uneinigkeit der Beteiligten, dass der Widerspruch an und für sich und der Genderwiderspruch im besonderen nicht konkret angesprochen wird. Der Ausstieg von Théorie communiste wird einfach kurz zusammengefasst: „Vor einigen Monaten entschieden die Mitglieder der französischen Theoriegruppe Théorie Communiste (TC), Sic zu verlassen. Diese Entwicklung war besonders wichtig, denn die theoretische Arbeit von TC war der Eckpunkt der Lancierung von Sic. Doch das Leben geht weiter und Probieren geht über Studieren: Die Fähigkeit von Sic, kreativ gemeinsam zu funktionieren und Theorie auszuarbeiten wird in Zukunft das einzige entscheidende Kriterium für das Projekt sein (natürlich abgesehen von allgemeinen Entwicklungen). Das Verlassen des Tischs bedeutet nicht, dass das Essen darauf nicht mehr geniessbar ist, und spricht auch niemanden von gegenwärtigen oder vergangenen Sünden frei. Da die Geschichte sich nicht darum kümmern wird, in der Angelegenheit irgendein Urteil zu sprechen, genügt es zu sagen, dass wir sowohl TC als auch Sic eine konstruktive Zukunft wünschen.“23

Trotz diesen Meinungsverschiedenheiten wird die Genderfrage nach wie vor auf beiden Seiten intensiv diskutiert. Diese theoretische Debatte hat den Verdienst, dass diese Problematik zum ersten Mal in linkskommunistischen Zusammenhängen konkret theoretisch diskutiert und deren Lösung nicht einfach stillschweigend auf den Tag nach der Revolution verlegt wird. Deswegen, aber nicht nur, ist die Kommunisierung eine der interessantesten theoretischen Entwicklungen des Linkskommunismus in den letzten Jahren. Es ist ein Milieu, wo theoretische Probleme ausführlich diskutiert werden und ohne identitäre Scheuklappen auf diverse Debatten eingegangen wird. Im Unterschied zur fast ausschliesslich akademischen Neuen Marx-Lektüre in Deutschland und zum ebenfalls fast ausschliesslich akademischen Operaismus in Italien (der allerdings zusammenfiel mit Arbeiterkämpfen, welche weite Teile dieser Theorie in der Praxis bestätigten), entstand die Kommunisierung ausserhalb der Universitäten. Und obwohl sie in der Zwischenzeit v.a. in den USA an Universitäten vermehrt diskutiert wird, ist die akademische Welt nach wie vor kein wesentlicher Faktor für theoretische Entwicklungen.

 

 

1Théorie communiste, „Wir sprechen von Kommunisierung im Präsens“, in diesem Band, S. x.

2Gilles Dauvé, „Révolutionnaire? (notes sur la subversion)“ in: Le Mouvement Communiste, Nr. 4, Mai 1973, S. 2-47.

3Siehe Théorie communiste, op. cit., S. X-y.

4Ebd., S. x.

5Ebd., S. x.

6François Danel (Hg.), Rupture dans la théorie de la révolution, Marseille, Senonevero, 2003.

7Roland Simon, Histoire critique de l'ultragauche. Trajectoire d'une balle dans le pied, Marseille, Senonevero, 2009, S. 265-266.

8Gilles Dauvé und Karl Nesic, „Communisation: un Appel et une Invite“, 2004.

9Mehrere Texte dieser Zeitschrift sind auf Deutsch veröffentlicht worden: Theorie vom Bloom, Zürich/Berlin, Diaphanes, 2003; Kybernetik und Revolte, Zürich/Berlin, Diaphanes, 2007; Einführung in den Bürgerkrieg, Zürich, MG+R – Dataretribal, 2007; Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens, Berlin, Merve Verlag, 2009; Anleitung zum Bürgerkrieg, Hamburg, Laika Verlag, 2012; Alles ist gescheitert, es lebe der Kommunismus, Hamburg, Laika Verlag, 2013.

10Aufruf, S. 66.

11„Un autre emploi de l'argent“ in: Meeting, Nr. 2, 2005.

12Unsichtbares Komitee, Der kommende Aufstand, Hamburg, Edition Nautilus, 2010.

13Siehe Johannes Thumfart, „Links ist das nicht!“ in: Jungle World, Nr. 47, 25. November 2010.

14Nils Minkmar, „Seid faul und militant!“ in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. November 2010.

15„Der kommende Aufstand“ in: Der Spiegel, Nr. 47, 22. November 2010.

16Siehe „Spitzel-Affäre um Mark Kennedy erreicht Frankreich“ auf Indymedia Linksunten: https://linksunten.indymedia.org/node/108706 (konsultiert am 31. März 2014).

17Siehe http://endnotes.org.uk/about (konsultiert am 31. März 2014).

18Siehe Théorie communiste, „Das Spiel ist aus“ auf http://www.kommunisierung.net/spip.php?article18 (konsultiert am 31. März 2014).

19Théorie communiste, „Einige kritische Anmerkungen zu 'Gender und Klassen. Der Generalaufstand, der die Männer und die Frauen zerstören wird'“ im dritten Band, S. X-y.

 

20Der Begriff des „Klassenwiderspruchs“ ist grundsätzlich mit der maoistischen Tradition verbunden. Einige verteidigten seine Marxsche Druckerlaubnis, indem sie auf eine Passage in der Penguin-Übersetzung der Grundrisse verwiesen, wo Marx sich auf eine „contradiction of capital and wage labour“ (MECW 29, S. 90, Übersetzung von Nicholaus) bezieht. Doch der deutsche Begriff ist Gegensatz, nicht Widerspruch. Der Widerspruch zwischen „Kapital und Arbeit“ oder „Kapitalisten und Arbeitern“ wird im Werk von Marx nirgends erwähnt [Fussnote von Endnotes].

21Marx, Kapital, Bd. 1, MEW Bd. 23, S. 659. Zum logischen Charakter des Widerspruchs bei Marx und Hegel siehe Richard Gunn, „Marxism and Contradiction“, Common Sense 15, 1994 [Fussnote von Endnotes].

22„Vorwort Endnotes 3“ auf http://www.kommunisierung.net/spip.php?article19 (konsultiert am 31. März 2014).

23„Dies ist kein Vorwort“ auf http://www.kommunisierung.net/spip.php?article21 (konsultiert am 31. März 2014).