Nach dem Brandanschlag auf die S-Bahn diskutiert die Politik, welche Konsequenzen man daraus zieht. Die Polizei aber macht sich keine Illusionen: Verhindern kann man so etwas nie.
Auch am zweiten Tag nach dem Brandanschlag auf die S-Bahn mussten tausende Berliner Verzögerungen und Umleitungen bei ihrem Weg durch die Stadt in Kauf nehmen. Quer durch alle Parteien wurde der Anschlag vom Donnerstagmorgen verurteilt, zu dem sich eine linksradikale Gruppe bekannt hatte. "Das ist ein Anschlag auf unser Zusammenleben, der Berlin offensichtlich gezielt schaden und verunsichern soll", sagte Innensenator Frank Henkel.
SPD-Innenpolitiker spricht von "Linksterrorismus"
"Die linksautonome Szene will die Innenstadt terrorisieren und tyrannisieren", sagte der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber, Sprecher seiner Fraktion für Verfassungsschutz.
Berlin solle sich nicht von denen einschüchtern lassen, die sich auf den anhaltenden Flüchtlingsprotest beriefen, um ihre Gewaltfantasien auszuleben, forderte Henkel.
Auch Schreiber sagt, die Szene missbrauche wiederholt Themen wie den Flüchtlingsprotest, um für einen Systemwechsel zu kämpfen. Er fordert "keine falschen Scheuklappen gegenüber Linksterroristen. Es ist wichtig, dagegen jetzt vorzugehen." Als Beispiele fordert er vermehrte Polizeistreifen in Szene-Kiezen. Wenn die Täter gefasst seien, müsse ein Urteil "mit Signalwirkung" gesprochen werden – ein Anschlag auf die Ringbahn sei ein Anschlag auf das öffentliche Interesse.
CDU-Verkehrspolitiker kritisiert Sicherheitsmaßnahmen bei S-Bahn
Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, fordert den Einsatz von Überwachungstechnik: "Zumindest entlang stark frequentierter Strecken wie der Ringbahn und der Stadtbahn. London macht das schließlich auch." Friederici zufolge müssten die Kameras mit Bewegungsmeldern und Nachtsicht ausgestattet sein. "Natürlich ist das teuer“, sagt er, „aber die Kosten der Anschläge sind es auch. Die Bahn macht da aus eigenem Antrieb viel zu wenig."
Die Linke will mehr Personal entlang der Strecken
Hakan Tas, sicherheitspolitischer Sprecher der Linken, sieht die Videoüberwachung skeptischer: "Für die Strafverfolgung ist das okay, die eigentliche Tat wird aber nicht verhindert." Stattdessen müsse laut Tas über eine Versiegelung der Kabelschächte und mehr Personal im Streifendienst nachgedacht werden: "Es wäre ratsam, wenn die Bahn wieder mehr in Personal investieren würde."
2012 brannte es an gleicher Stelle
Die Brandstifter waren wie berichtet in der Morgendämmerung gekommen, kurz vorm Einsetzen des Berufsverkehrs. Nur eine "handelsübliche Menge Benzin, gepaart mit zwei Zeitzündern“, so das Bekennerschreiben, hatten die Täter dabei.
Sie kletterten an der Elsenbrücke über einen Gitterzaun und standen wenig später auf den S-Bahn-Gleisen zwischen den Bahnhöfen Treptower Park und Ostkreuz. Dann hoben sie eine Betonplatte von einem Kabelschacht und legten Feuer. Ein Signalkabel ging in Flammen auf, ein Stellwerk fiel aus, Berlin versank erneut im S-Bahn-Chaos. Die Täter hatten leichtes Spiel – genau wie ihre Vorgänger, die im Mai 2012 an gleicher Stelle ein Feuer gelegt hatten. Auch damals kam es zu Zugausfällen.
Kleines Feuer - große Wirkung
Damals wie heute scheinen die Täter aus der linksextremen Szene zu stammen. Der Brand selbst war nicht sehr aufsehenerregend: Gegen 4 Uhr ging ein Notruf bei der Feuerwehr ein, gegen 4.35 Uhr waren die Flammen gelöscht. Unter den Folgen aber haben die Berliner zu leiden – nach Angaben der S-Bahn noch mindestens bis Sonntagvormittag: Die Ringbahn ist zwischen Ostkreuz und Südkreuz unterbrochen, auch die Linien S 8, S 85 und S 9 fahren nur auf Teilabschnitten.
Dreißig Busse sind im Schienenersatzverkehr unterwegs, um die Zugausfälle zumindest teilweise wettzumachen. Maximale Konfusion bei minimalem Aufwand – die Brandstifter haben ihr Ziel erreicht. Der Unmut der zahlenden Kundschaft ist groß.
Täter hatten "einfache Bürger" als Ziel
Denn in dem im Netz veröffentlichten Bekennerschreiben nennen sie die "einfachen Bürger*innen Berlins und Brandenburgs" als Ziele des Anschlags. "Diese sind es, die getroffen werden sollten", schreiben die Verfasser, die sich als "Autonome Gruppen" bezeichnen.
Anlass des Anschlags sind offenbar die Flüchtlingsproteste in Friedrichshain; das Schreiben nimmt direkten Bezug auf die Situation in der Gürtelstraße. Dort sitzen seit Dienstag neun Flüchtlinge auf einem Dach, um die erneute Überprüfung ihrer Asylbegehren in Berlin zu erzwingen. Was die Flüchtlingspolitik des Berliner Senats mit dem öffentlichen Nahverkehr zu tun hat, bleibt Geheimnis der Brandstifter.
Offen ist nach wie vor, ob das Schreiben tatsächlich von den Tätern oder von einem Trittbrettfahrer verfasst wurde – die Polizei geht aber in jedem Fall von einer politisch motivierten Tat aus, der Staatsschutz ermittelt. Ob die Fahnder das Bekennerschreiben als echt einstufen, war am Freitag nicht in Erfahrung zu bringen: "Wir äußern uns nicht zu laufenden Ermittlungen."
Bundespolizei: Permanente Überwachung nicht möglich
S-Bahn und Bundespolizei machen sich keine Illusionen: Ein Anschlag wie der vom Donnerstag kann jederzeit wieder verübt werden. "Wir haben allein bei der S-Bahn in Berlin 330 Kilometer Streckennetz und 166 Bahnhöfe abzudecken", sagt Bundespolizeisprecher Meik Gauer, "eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung aller Strecken ist nicht möglich."
Zwar sind die S-Bahn-Strecken in der Innenstadt an vielen Stellen mit Zäunen geschützt, auch ist das Betreten der Bahnanlagen nicht nur gefährlich, sondern auch bei Strafe verboten. Trotzdem: Wer ausreichend kriminelle Energie mitbringt und nicht davor zurückscheut, sich in Lebensgefahr zu bringen, schafft es meist auch auf die Gleise.
"Auch wenn alle Strecken mit Zäunen geschützt wären – unüberwindbar sind die nicht", sagt Gauer. Die Kabeldiebe, die entlang der S-Bahn-Strecken auf die Jagd nach Metall gehen, lassen sich von Zäunen und Schildern ebenso wenig abschrecken wie manche Kinder: Erst vor wenigen Tagen zwangen zwei 13-jährige Mädchen eine S-Bahn der Linie 25 zwischen Tegel und Schulzendorf zur Notbremsung. Sie waren ins Gleisbett geklettert, um Fotos zu machen.
S-Bahn: Sabotage kann nie ausgeschlossen werden
Auch die Streifen der Bundespolizei und des bahninternen Sicherheitsdienstes DB Sicherheit sowie ein nicht näher präzisiertes „Portfolio von Maßnahmen an gefährlichen Streckenabschnitten“, wie es bei der Bahn heißt, können nicht für hundertprozentigen Schutz garantieren. „Es gibt keine hermetische Absicherung der Bahnstrecken. Sabotage kann niemals völlig ausgeschlossen werden,“ sagt Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz.
Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB kritisierte, dass die Bahn die Brücke nach dem letzten Brand nicht besser gesichert habe: „Hier wurde schon ein Anschlag verübt, ein Gehweg geht direkt vorbei – man hätte durchaus einen zweckmäßigen Zaun aufstellen können.“