Deutscher Student vor Gericht: Österreich gegen Josef S.

Erstveröffentlicht: 
21.07.2014

Seit einem halben Jahr sitzt der deutsche Student Josef S. in Wien in U-Haft. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für einen Krawalltouristen. Doch der zweite Prozesstag zeigt: Beweise hat sie nicht.

 

Zehn Uniformierte schieben sich durch den Flur, Schlagstöcke und Dienstwaffen an den Gürteln, wie ein Räumkommando marschieren sie auf die Saaltür zu. Ein dunkler Wuschelkopf mit Brille ragt aus ihrer Mitte, es ist der Angeklagte: Josef S., 23, Student der Materialwissenschaften aus Jena, wird in Handschellen zu seiner Verhandlung eskortiert. Von diesem Mann, das ist das Signal, geht Gefahr aus.

 

 

Die Republik Österreich, vertreten durch ihre Staatsanwaltschaft Wien, sieht in Josef S. einen Krawalltouristen, nennt ihn einen "Demonstrantensöldner" und hat ihn weggesperrt, seit sechs Monaten sitzt er in Untersuchungshaft. Zwei Mal pro Woche darf er für eine halbe Stunde Besuch empfangen, eine Stunde am Tag zum Hofgang. Die Anklage lautet auf Landfriedensbruch, versuchte schwere Körperverletzung und schwere Sachbeschädigung; bis zu fünf Jahre könnte Josef S. dafür bekommen.

 

Bei den Protesten gegen den Wiener Akademikerball, eine Tanzveranstaltung für Rechte, Rechtsextreme und Burschenschafter aus ganz Europa, soll Josef S. randaliert und als Rädelsführer den Schwarzen Block angestachelt haben. Er soll Pflastersteine, Mülleimer, Bengalos auf Polizisten geworfen und mit einer Eisenstange auf einen Funkwagen eingeprügelt haben. Ein linker Gewalttäter, getrieben vom Hass, der es im ordnungsliebenden Wien so richtig krachen lässt - das ist das Bild, das die Anklage von Josef S. zeichnet.

 

Alle wichtigen Medien Österreichs berichten


Viel mehr als dieses Bild zu zeichnen, ist der Staatsanwaltschaft allerdings nicht gelungen. Dafür demonstriert sie, wie wenig genügen kann, um für Monate eingesperrt zu werden. Bei diesem Prozess zeigt sich, wie Polizei und Justiz überreagieren können, wenn sie sich im Kampf gegen vermeintlich linksradikale Staatsfeinde wähnen.

 

Als "schlampig" und "erbittert" beschreibt Florian Klenk das Vorgehen der Behörden, er ist Jurist und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Falter". Den Prozess sieht er auch als Beispiel für die Unzuverlässigkeit des Zeugenbeweises, denn Sachbeweise kann die Anklage nicht präsentieren. Mittlerweile berichten so gut wie alle wichtigen Medien des Landes über den Fall, "Der Standard" begleitet den Prozess sogar mit einem Liveticker.

 

Der wichtigste Belastungszeuge, ein Zivilpolizist, hatte sich bereits bei Verhandlungsbeginn mehrfach in Widersprüche verwickelt. An diesem Montag dann wiederholt er den Vorwurf, Josef S. habe Pflastersteine auf Polizisten geworden. Allerdings sagen später ein Dutzend Straßenfeger aus, sie hätten beim Aufräumen unmittelbar nach den Krawallen keine Steine gefunden.

 

Fest steht nur, dass er bei der Demo mitlief


So geht das den Tag über, bei weit über 30 Grad kommt im Gerichtssaal noch einmal schwitzend das Demonstrationspersonal vom Januar zusammen: Polizisten, Reinigungskräfte, Pressefotografen sagen aus. In den Reihen der Zuschauer sitzen die Eltern von Josef S. samt Schwester, außerdem Freunde, viele aus der linken Szene. In den Prozesspausen jubeln sie ihrem "Josi" zu.

 

 

Das Gericht lässt Videos von Überwachungskameras zeigen und YouTube-Clips von den Demos, es diskutiert über Zeitstempel auf Fotos. Auf keiner Aufnahme ist Josef S. bei einem Steinwurf oder einem anderen Angriff zu sehen. Anwälte und Richter diskutieren die Aussage einer Gutachterin, die an einem Handschuh von Josef S. Schmauchspuren gefunden hat. Die Expertin sagt, sie würden "sehr wahrscheinlich von einem pyrotechnischen Gegenstand" stammen. Allerdings müsse Josef S. dafür nicht unbedingt selbst einen Bengalo entzündet und geworfen haben.

 

Zweifelsfrei fest steht nach einem langen Verhandlungstag schließlich nur, dass Josef S. bei der Demonstration im Januar mitlief und dass er sich nicht fernhielt von den Krawallen. Ob er beteiligt war, kann niemand sagen. Er selbst will sich zur Sache nicht äußern.

 

Josef S. wird in seine Zelle zurückgebracht, wieder begleitet von seiner Eskorte. Am Dienstag soll der Prozess weitergehen.