Der Fall des Jenaer Studenten Josef Slowik offenbart die fragwürdigen Methoden der österreichischen Justiz. Seit einem halben Jahr sitzt er unter fadenscheinigen Vorwürfen in Untersuchungshaft.
Wir waren immer so gern in Wien“, sagt Sabine Slowik. Besonders das Donauinselfest hat es ihr angetan: so bunt, so entspannt, so fröhlich. Aber jetzt kennt sie auch die dunkle Seite der sympathischen Stadt. Seit einem halben Jahr sitzt ihr Sohn Josef im „Grauen Haus“, einem Gefängnis in der Josefstadt, dem populären Viertel von Wien – unter fadenscheinigen Vorwürfen, unter einer wackligen Anklage, verfolgt von einer gewaltigen Portion Hass. Am Dienstag soll das Urteil fallen.
„Unseren Hass, den könnt ihr haben“: Das war die Parole einer Gruppe „Autonomer“, die am 24. Januar, einem Freitag, in Wien randaliert haben. Die Demo, aus der heraus sie agierten, richtete sich gegen den „Akademikerball“ am gleichen Abend in den Prunksälen der kaiserlichen Hofburg. Tage zuvor schon hatte die Polizeispitze das Volk mit düsteren Mienen auf eine Art Ausnahmezustand eingeschworen. Das Gebiet um den Ball wurde so weiträumig abgesperrt, dass viele Wiener gar nicht mehr nach Hause kamen. Dann durchbrach eine kleine Gruppe gewalttätiger Demonstranten eine Polizeisperre. Vor dem Stephansdom griffen einige Dutzend Krawallmachern Polizisten an, zerschlugen Fensterscheiben, warfen Blendgranaten. Einer riss ein Verkehrsschild aus dem Boden und zertrümmerte damit einen leeren Streifenwagen. Nach drei, vier Minuten war der Spuk vorbei.
Offener Hass, wie er bei den Krawallen zum Ausdruck kam, passt nicht zu Wien – da sind sich rechts und links ganz einig. „Mist“ und „deppert“ sei der Ausbruch gewesen und „Gewalt gegen Menschen“, sagt der bekannte Kolumnist Robert Misik, ein Wortführer der liberalen Linken in Österreich. Vor allem war der Einsatz ein polizeitaktisches Debakel, meint nicht nur Misik: Die Stimmung sei genau so heiß geworden, wie die Polizei sie eben zuvor aufgeheizt habe – und die riesige Sperrzone sei gar nicht zu kontrollieren gewesen.
Mehr als 500 Anzeigen erstattete die Polizei nach dem verunglückten Einsatz. Aber nur einer der angeblichen Täter wurde gefasst: Josef Slowik, 23, Student der Materialwissenschaft aus Jena, Thüringen. Dass es einen Deutschen traf, traf sich gut: Es illustriert, dass Hass und Gewalt nach Wien stets von außen kommen. Sogar, dass es den „Falschesten der Falschen“ traf, wie Misik sagt, hat seinen Sinn: Je unschuldiger der Verurteilte, desto größer die Abschreckung.
Schon der erste Prozesstag wäre für jede Anklagebehörde in Deutschland zum Debakel geworden. Die Staatsanwaltschaft präsentierte einen einzigen Belastungszeugen: Einen anonymisierten Zivilpolizisten, der sich zudem fortwährend widersprach, wenn die Verteidigung ihm nachwies, dass etwas an seiner Aussage nicht stimmte. Den ganzen Abend will der Beamte dem vorgeblichen Rädelsführer gefolgt sein. Josef Slowik sei vermummt gewesen und habe Kommandos gebrüllt. Verwackelte Handy-Aufnahmen des Polizisten beweisen aber nichts dergleichen. Die mitgeschnittene Stimme gehörte jemand anderem, wie ein Gutachten erwies. Der Antrag auf Entlassung aus der U-Haft wurde trotzdem abgewiesen. Der Verdacht habe sich „noch erhärtet“, sagte der Richter und verabschiedete sich in den Urlaub.
Anklage Landfriedensbruch und „versuchte schwere Körperverletzung“
Die Anklage lautet auf Landfriedensbruch und „versuchte schwere Körperverletzung“. Für letzteren Vorwurf hat der Staatsanwalt kein Opfer benennen können, auch kein potenzielles. Bei Landfriedensbruch genügt es, dass man irgendwie dabei war. In schweren Fällen stehen darauf drei Jahre Haft.
Bei der Demo war Slowik sicher. Aber war er auch bei den Krawallmachern? Auch das muss, wie es scheint, nicht bewiesen werden. Sein Pullover mit der Aufschrift „Boykott“ habe ihn als Rädelsführer ausgewiesen, so die Anklage. Eine haltlose Spekulation: „Boykott“ ist der Name einer Berliner Rockband. Dass der Student während der Demo „wie wild“ telefoniert habe, ließ sich per Rufdatenspeicherung widerlegen.
Josef Slowik ist in Jena bei den SPD-nahen „Falken“ aktiv, bestätigt deren Stadtvorsitzende Maria Neuhauss. Falken sind keine „Autonomen“. Zwar reisen sie zu Demos „gegen rechts“ auch mal in andere Städte, aber Wien war in diesem Jahr nicht dabei; Josef sei allein gereist. Ob Falken und „Schwarzer Block“ zusammen passen, mag Neuhauss nicht sagen. Der Schwarze Block sei „ja keine festgefügte Organisation.“ Es könne schon sein, dass sich jemand aus Selbstschutz vermummt, um von den Nazis nicht erkannt zu werden. Vermummt jedoch war Josef Slowik nicht und polizeilich ist er nie aufgefallen. Eine „christliche Grunderziehung“ habe der Junge mitbekommen, sagt Vater Bernd, der uneingeschränkt hinter seinem Sohn steht. Er sei „ruhig, zurückhaltend“ und „überhaupt nicht der Typ, der nach vorn geht“. Allen Schlägereien sei er immer schon aus dem Weg gegangen. Im Gefängnis dient der linke Katholik dem Pfarrer als Messdiener.
Mit einem solchen Angeklagten und bei solcher Beweislage darf eine Verteidigung sich normalerweise gut gerüstet fühlen. Nicht so in Österreich. „Konsterniert“ war Slowiks Anwältin Kirstin Pietrzyk aus Jena, als sie den Vortrag des Anklägers hörte: Statt nüchtern die Anklageschrift zu verlesen, hatte Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter sich einen animierten Vortrag über „Demonstrationssöldner“, „Chaoten“, „martialische Phalanx“ und „kohortengleiche Formationen“ ausgedacht. „In Deutschland unmöglich“, sagt Pietrzyk.
Österreichs Justiz wird seit Jahren von Skandalen geschüttelt. Um ihren katastrophalen Ruf scheinen sich die Damen und Herren in den schwarzen Roben aber nicht zu scheren. Richter durchlaufen eine Schmalspurausbildung und verfügen dann über absolute Macht. „In keinem europäischen Land wird Strafrecht so wenig studiert und so wenig ernst genommen wie in Österreich“, sagt die Strafrechtsprofessorin Petra Velten, die in Linz lehrt. Angeklagte werden gedemütigt, Verteidiger unterbrochen und gemaßregelt. Wer Kritik übt, wird selbst vor Gericht gezerrt. Als Velten in einem skandalösen Prozess gegen Tierschützer in der Wiener Neustadt die Verhandlungsführung bemängelte, zeigte die Richtervereinigung die Wissenschaftlerin an. Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ kann von solchen Fällen beinahe wöchentlich berichten. Und muss dabei aufpassen: Journalisten, die die Beweiswürdigung des Richters kritisieren, machen sich strafbar.
Demonstranten und Ausländer haben vor österreichischen Gerichten schlechte, Polizisten und andere Staatsbeamte dagegen gute Karten. Wer Polizisten wegen Übergriffen anzeigt, muss mit einer Gegenanzeige und anschließender Verurteilung rechnen. Vor wenigen Wochen kam ein hoher Justizbeamter frei, obwohl er auf frischer Tat bei einem Einbruch ertappt wurde. Ein Junkie, der in Wien drei Männer vor eine U-Bahn stieß, bekam achtzehn Jahre. Ein Elektrikermeister, der in wahrscheinlich fremdenfeindlicher Absicht eine Kenianerin auf die Gleise stieß, ging als freier Mann aus dem Gerichtssaal.
Anders als in Deutschland, wo Richter von den Justizministerien nach nachvollziehbaren Kriterien eingestellt werden, erneuert sich in Österreich die Justiz durch „Selbstselektion“, sagt Velten. Richtergremien suchen sich passende Nachfolger. Wo der Polizei das Herz schlägt, offenbaren regelmäßig die Wahlen zur Personalvertretung, bei der Parteilisten gegeneinander antreten: Die rechte FPÖ kam in der Gruppe der Polizisten zuletzt auf über 25 Prozent. Bei Demo-Einsätzen organisiert die rechte Formation ganz offiziell eine „Einsatzbetreuung“ und hält die Kollegen mit Kaffee und heißen Würstchen bei Laune – auch beim Akademikerball.
Immer mehr kritische Stimmen
Wer im Prozess gegen Josef Slowik politische Absichten und verdeckten Hass vermutet, braucht nicht viel Fantasie. Ankläger Kronawetter sei „der typische Beamte der alten politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Wien“, sagt der grüne Abgeordnete Peter Pilz, der schon etliche Sträuße mit der Justiz ausgefochten hat. Die Abteilung habe „nach meinem Eindruck“ ein Prinzip gehabt: „Stark gegen die Schwachen und schwach gegen die Starken.“
Pilz ist vorsichtig, denn auch gegen ihn, den gewählten Abgeordneten, hat der Staatsanwalt schon geklagt. Nachdem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Praxis der Abteilung durchleuchtet hatte, wurde sie aufgelöst. Ihre Beamten sind freilich noch da. Beim großen Korruptionsskandal um die Eurofighter, den der Staatsanwalt hätte verfolgen sollen und den Pilz enthüllen half, gab es „keine Hausdurchsuchung, keine Telefonüberwachung, nicht einmal eine Einvernahme aller Hauptverdächtigen“, erinnert sich der Politiker an Kronawetter: „Aber bei einem verdächtigen Demonstranten zeigt er, was die Justiz alles kann.“
Die „Akademiker“, die sich im Januar zu ihrem jährlichen Ball in der Hofburg trafen, sind Mitglieder der FPÖ und rechtsextreme Burschenschaftler. Josef Slowik kennt aus Jena, wo der „Nationalsozialistische Untergrund“ herkam, einen ganz anderen Umgang mit Rechtsextremisten. Die ganze Stadt sei auf den Beinen gewesen, als hier die NPD ihr „Fest der Völker“ organisierte, sagt Vater Bernd. Man habe sich gefreut, dass auch aus anderen Städten Gegendemonstranten kamen. „Damit ist Josef groß geworden.“ Zwar schätzt auch Bernd Slowik keinen Krawall. „Eine Parole wie ‚Unseren Hass könnt ihr haben‘ finde ich nicht in Ordnung.“ Aber im Fokus steht in Jena eben der Hass, der sich in den rechtsextremen Organisationen im Programm findet. Für sein Engagement gegen rechts wurde der Student Josef von SPD-Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) im Mai, während seiner U-Haft in Wien, mit dem Zivilcourage-Preis der Stadt ausgezeichnet.
In Jena geht es um Moral, in Wien um Manieren. In Österreich sind die Rechten keine ruppige Fraktion der Jugendkultur. Auf dem traditionellen Ball im Januar hielt der Chefarzt einer Klagenfurter Uni-Klinik die Eröffnungsrede. Damen erscheinen hier im Abendkleid, Herren im Frack, mit Farbband und bunten Mützchen. Die Hofburg ist mit ihrem imperialen Festsaal die gute Stube des Landes. Die Gäste rechnen sich zur Spitze der Gesellschaft. „Wir wollen zeigen, dass wir das Recht haben, hier in der Hofburg Bälle zu veranstalten“, sagte Organisator Udo Guggenbichler. Das große „Vernetzungstreffen der internationalen Rechten“, wie die Gegendemonstranten glauben machen wollten, sei der Ball aber „natürlich nicht“, meint Robert Misik. Sie wollen bloß tanzen, das aber offen und selbstbewusst.
Anderswo in Europa ist Hass auch im Ballkleid nicht mehr salonfähig – so gesehen ist die Wahrnehmung, dass Streit und Ärger stets aus dem Ausland kommen, so falsch nicht. Weil die Verwaltung der Hofburg den rechtsextremen Burschenschaften ihren Saal nicht mehr geben wollte, musste schon im Vorjahr die FPÖ als Veranstalter einspringen.
Zum Prozess gegen den Studenten aus Jena werden immer mehr kritische Stimmen laut. Die Rektorin der Kunstakademie unterschrieb einen Aufruf, eine sozialdemokratische Abgeordnete besuchte den U-Häftling im Gefängnis. Der Justizsprecher der Kanzlerpartei SPÖ wurde deutlich wie nie zuvor: „Die Polizei wurde für ihr überschießendes Vorgehen gegen die antifaschistischen Demonstranten kritisiert“, so der Abgeordnete Hannes Jarolim, „und die Justiz hilft ihr jetzt dabei, das zu kompensieren.“
Ob Josef Slowik das alles nützt, steht in der Sternen. Nach gängiger Rechtsprechung könnte es nach dem Kollektiv-Paragraphen Landfriedensbruch zu einer Verurteilung reichen. Das Oberlandesgericht, das für eine Berufung zuständig wäre, hat alle Haftbeschwerden abgelehnt und den Fall sogar noch angefettet: Slowik habe eine „lange Haftstrafe“ zu erwarten – und so indirekt dem Richter der ersten Instanz ausgerichtet, wie sein Urteil ausfallen muss, wenn es halten soll.
Dem Vorsitzenden Thomas Spreitzer bescheinigt auch die Verteidigung eine respektvolle Verhandlungsführung – eher eine Ausnahme hier, die vielleicht der öffentlichen Aufmerksamkeit geschuldet ist. Ansonsten macht der junge Richter nicht den Eindruck, als wolle er Österreichs Rechtsprechung revolutionieren. Im März schickte er einen arbeits- und wohnungslosen Slowaken für dreieinhalb Jahre ohne Bewährung ins Gefängnis, weil er mit Draht und Pinzette ein paar Hundert Euro aus Opferstöcken gestohlen hatte Die Kirche hatte es abgelehnt, als Nebenklägerin aufzutreten. Die Justiz, so scheint es, hat ihre eigenen Werte.