Manche Klage aus deutschen Gefängnissen mutet im Vergleich zu dem, was wir heute aus Griechenland oder auch Italien lesen und hören unverhältnismäßig, ja fast überflüssig an. Dort geht es vielfach um das nackte physische Überleben – in griechischen und italienischen Knästen. Trotzdem sollten die Meldungen aus deutschen Knästen nicht ganz vergessen werden, denn nur weil die rein physische Existenz im Regelfall hier nicht akut bedroht ist, bedeutet das nicht, dass die Beschwerden überflüssig oder unbegründet wären.
Zuerst soll es um André S. gehen (A.) und das gegen ihn angestrengte Entmündigungsverfahren; in einem zweiten Teil berichte ich von dem Vorwurf freiburger Sicherungsverwahrter, dort werde ein „todesstrafenähnlicher Verwahrvollzug“ praktiziert (B.).
A.) Entmündigung eines rebellischen Gefangenen?
Es gibt mittlerweile einige Texte im Internet von André S. zu lesen (https://linksunten.indymedia.org/de/node/105605) und auch wenn er nicht immer unumstritten ist, zeigt die neueste Entwicklung, wie sehr die Knäste auf die Psychiatrisierung setzen: wer unbequem ist, der wird zum Geisteskranken erklärt.
Was ist geschehen? S. wehrt sich seit Jahren, verbal, schriftlich und auch in Klagen gegen aus seiner Sicht und Sicht derer, die die Zustände hinter Gittern kennen, ungerechte Behandlung und inakzeptable Vollzugsbedingungen. Nun strengte die Justiz ein Betreuungsverfahren, wie neumodisch die Entmündigung genannt wird, gegen S. an. Beim Amtsgericht Krefeld (Az. 55 XVII SCH 13726 PKH) wurde auf Anregung des Anstaltsarztes ein Verfahren eingeleitet, in welchem S. zumindest für den Bereich der Führung von gerichtlichen Verfahren ein Betreuer vorgesetzt werden soll, so dass er selbst keinerlei wirksame Klagen mehr einreichen könnte.
Zugleich weigerte sich das Amtsgericht mit Beschluss vom 12.02.2014 S. einen Anwalt auf Staatskosten beizuordnen, denn ein „schwerwiegender Eingriff in die Rechte oder Lebensstellung des Betroffenen (sei) nicht zu erwarten“, schließlich gehe es doch lediglich um die „Betreuung für den Bereich der Prozessführung und Behördenangelegenheiten“.
Wie das Verfahren weitergeht, ob André tatsächlich teilentmündigt werden wird, das bleibt abzuwarten.
Hierher mag eine Meldung passen, die kürzlich Marco Camenisch (z.Zt. in Lagerhaft in der Schweiz) verbreitete: danach werde in den USA Jugendlichen die Geisteskrankheit „Oppositional Defiant Disorder“ (etwa: oppositionell-trotzige/ feindselige Störung) attestiert, sobald sie im entsprechenden Fragebogen u.a. auf Fragen wie „Lieben Sie die Freiheit?“ und „Hassen Sie Zwang und Herrschaft?“ mit „Ja“ antworten.
Die Psychiatrie im Dienste der Justiz und Herrschaft, um missliebige Menschen wirksam aus dem gesellschaftlichen Diskurs auszugrenzen. Denn wem das Etikett der Geistesstörung angeheftet wird, der kann noch leichter marginalisiert werden als andere Menschen.
B.) „Todesstrafenähnlicher“ Verwahrvollzug?
Vergegenwärtigt man sich, dass in der JVA Freiburg binnen eines Jahres zwar zwei Verwahrte verstarben, aber keiner auf Bewährung entlassen worden ist, erscheint vielleicht der etwas reißerisch klingende Vorwurf des „todesstrafenähnlichen Verwahrvollzugs“ nicht mehr ganz so abseitig. Wahr ist, hier wird keine Guillotine, kein Galgen aufgestellt, um Menschen hinzurichten; auch ist der Vollzugsalltag nicht gerade von physischer Härte geprägt. Trotzdem werfen immer wieder Verwahrte den JustizmitarbeiterInnen vor: „Ihr wollt uns alle umbringen“ (so zum Beispiel Herr J.).
Und zwar, indem die Betroffenen durchweg pathologisiert werden; da wird die meist etwas dunkle Zelle des Herrn J. zur „Räucherhöhle“ und dient als Beleg für die schwere psychische Störung des Verwahrten. Sein Argument, er könne nach über 10 Jahren SV das Gitter einfach nicht mehr sehen, das zählt dabei nicht.
Durch die Wertung fast jeder Lebensäußerung als Symptom für eine (zu behandelnde) psychische Störung, sichert die Justiz die dauerhafte Einsperrung der Betroffenen ab. So dass tatsächlich ein Großteil der Verwahrten sich darauf einstellen muss, hier auch zu sterben. Allenfalls kurz vor dem Tod in ein Gefängniskrankenhaus verlegt zu werden.
Was ein bisschen Erleichterung schaffen könnte, das wird konsequent abgelehnt: so praktiziert die JVA eine Kleingruppen-Isolation, d.h. die vier SV-Stationen sind hermetisch voneinander getrennt. Verwahrte, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten kennen, dürfen sich nicht spontan einfach besuchen gehen. Lediglich die Bewohner von zwei (therapeutischen) Stationen dürfen sich ggf. stundenweise gegenseitig besuchen. Hier auf der Station 2, auf der ich lebe, ist nur nach schriftlicher Antragstellung, unter Beifügung einer Begründung, mindestens eine Woche im Voraus zu stellen, im Einzelfall ein einmaliger Besuch auf einer der anderen drei Stationen möglich. Und das obwohl der Gesetzgeber eigentlich vorschreibt, dass man sich frei im gesamten Haus bewegen darf, nur im begründeten Ausnahmefall dürfe dieses Recht beschränkt werden. Die JVA erklärt den Ausnahme- zum Regelfall.
Oder die Ausführungen (über meine allererste Ausführung berichtete ich kürzlich http://de.indymedia.org/2014/03/353381.shtml). Vier Mal im Jahr (nur) darf man hinaus in die Freiheit, wenn auch scharf bewacht von Wärtern; und selbst diese wenigen Ausführungen werden teilweise kurzfristig gestrichen. Erst vor wenigen Tagen fielen mehrere solcher „Ausflüge“ aus; in einem Fall wurde das dem Betroffenen ½ Stunde vor dem Termin mitgeteilt.
Empört berichtete er mir dann, ihm werde erst in acht Wochen ein Ersatztermin gewährt. Sicherlich, die Anstalt macht personelle Engpässe geltend. Die Sozialarbeiterin B. teilte auf Frage mit: „Wir bemühen uns immer um mehr Personal, auch wenn Sie von den Bemühungen nichts mitbekommen!“. Nur hilft das nicht, die Perspektivlosigkeit der Verwahrten zu beseitigen.
Sind dann noch SozialarbeiterIn und PsychologInnen krank, im Urlaub, bzw. in Fortbildungen, fallen teilweise über Wochen therapeutische Maßnahmen, für jene, die „mitarbeiten“ wollen, aus. Oder Fachpersonal lässt sich in andere Knäste versetzen und die eben erst aufgebaute Vertrauensbeziehung wird zerschlagen und die Verwahrten müssen (mal wieder) mit neuen JVA-MitarbeiterInnen von vorne beginnen. Es ist ja nur die Freiheit und Lebenszeit der Verwahrten, die auf diese Weise leidet.
In einer Gesamtschau kann also durchaus verständlich sein, weshalb hier manche der Verwahrten von einem in der Tendenz todesstrafenähnlichen Verwahrvollzug sprechen. Denn die Freiheit, die Entlassung in das Leben vor den Gefängnismauern ist für die Meisten in der Sicherungsverwahrung genauso unerreichbar wie für jene, die in den USA und vielen anderen Staaten dieser Erde in den Todestrakten auch ihrem Tod entgegensehen.
Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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