Badischer Bomber

Erstveröffentlicht: 
10.09.2009

Der Neonazi Thomas Baumann lagerte im elterlichen Heim eine beachtliche Menge Sprengstoff. Die örtliche Polizei ging trotz gegenteiliger Hinweise erst mal von einem Einzeltäter aus. Seit sich das LKA eingeschaltet hat, ist aus dem »Einzeltäter« ein »Einzelfall« geworden.


von John Philipp Thurn

 

Der Lörracher Oberstaatsanwalt Otto Bürgelin und Engelbert Brüstle, Leiter der dortigen Polizeidirektion, sind nicht gerade als oberste Terroristenjäger der Republik bekannt. Dass sie zusammen mit Beamten der Kriminalpolizei am 27. August der Presse den offenbar verhinderten Bombenbau des 22jährigen Neonazis Thomas Baumann präsentierten, dürfte darauf hinweisen, dass die deutschen Sicherheitsorgane dem Fall keine gesteigerte Bedeutung beimessen. Dabei war das Arsenal an Chemikalien, ferngesteuerten Zündvorrichtungen und Waffen, das Baumann im Haus seiner Eltern in Weil am Rhein aufbewahrte, durchaus beeindruckend: Nach Angaben der Badischen Zeitung sind die 22 Kilogramm Rohmaterial verschiedener Sprengstoffe, aus denen in wenigen Stunden Bomben von verheerender Wirkung hätten werden können, die größte je in Deutschland bei einem Rechtsextremisten aufgefundene Menge. Bereits verwendungsfähig war eine Rohrbombe, auf der Baumann offenbar mit einem starken Klebeband kleine Stahlkugeln befestigen wollte, um eine möglichst große Splitterwirkung zu erzielen.

Während etwa unter der Regie der Generalbundesanwaltschaft bei der Strafverfolgung der so genannten Militanten Gruppe kein Aufwand gescheut wird, scheint im Fall des südbadischen Nazi-Bombers der Ermittlungseifer vergleichsweise gering zu sein. Die Autonome Antifa Freiburg verfügte über deutlich bessere Informationen als die Polizei, die erst durch eine anonyme Anzeige zu der Erkenntnis gelangte, dass Baumann an Bomben bastelte. Wegen des Verdachts der Vor­bereitung einer Sprengstoffexplosion und Besitz eines nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz verbotenen Schweizer Sturmgewehrs sitzt Baumann nun in Freiburg in Untersuchungshaft.

Als wahrscheinlichstes Anschlagsziel nannte Staatsanwalt Bürgelin »die Kreise der Antifa in Freiburg«. Da Baumann bislang die Aussage verweigert, kann nur spekuliert werden, wann und wo genau er sein Material einsetzen wollte. Sicher scheinen sich die Ermittler hingegen darin, dass Baumann ohne Komplizen handelte: Auf mögliche Mittäter des 22jährigen Waffenliebhabers, der nach zwei Jahren als Zeitsoldat bei den Krisenreaktionskräften der Bundeswehr nun eine Ausbildung zum Altenpfleger macht, gebe es keine Hinweise. Überhaupt handele es sich, so das Landeskriminalamt, um einen »absoluten Einzelfall«, die Gewalt durch Rechtsextremisten gehe landesweit zurück.

Die Ermittler um Generalbundesanwältin Monika Harms suchten bei verhinderten islamistischen Anschlägen, etwa im Fall der Kofferbomber von Köln, nach weiteren Verdächtigen, der Strafbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beginnt mit der Anzahl von drei Personen.

Im aktuellen Fall geben sich die Offiziellen alle Mühe, über deutliche Hinweise auf Mittäter hinwegzusehen. Dabei ist Baumann als »Gruppenführer« der Kameradschaft »Freie Kräfte Lörrach« und »Stützpunktleiter« der NPD-Jugendorgani­sation Junge Nationaldemokraten (JN) eine Schlüsselfigur der lokalen Nazi-Szene. Mit Alexander Neidlein, dem Landesgeschäftsführer der JN und stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD, steht er in engem Kontakt. Für die Autonome Antifa, die am Tag der Verhaftung ein ausführliches »Communiqué« veröffentlichte, ist insbesondere aufgrund abgefangener E-Mails klar, dass es sich bei Baumann nicht um einen verhinderten Einzeltäter handelt.

Dem bekannt gewordenen E-Mail-Verkehr zufolge schrieb Baumann im April 2008 dem Lörracher NPD-Vorsitzenden Christoph Bauer, seine Gruppe habe sich »jetzt langsam strukturiert« und gehe »zum Gegenschlag über«. Er erkundigte sich nach »Namen und Adressen von wichtigen politischen Gegnern in dieser Umgebung«. Dass er nicht in die Partei eintrat, erklärte Baumann dem baden-württembergischen NPD-Vorsitzenden Jürgen Schützinger im Juni 2009 so: »Ich konzentriere meine Kraft lieber auf den vorpolitischen Raum und auf die Schulung junger Nachwuchskämpfer.« Auf Empfehlung von Bauer kam es im Zuge der »Anti-Antifa«-Arbeit« unter anderem zu Versuchen, Freiburgs Autonomes Zen­trum KTS auszukundschaften. Als Reaktion auf das Outing des Freiburger NPD-Vorsitzenden John Bürgel durch die Antifa und die folgende Auflösung des Kreisverbands im Juli 2009 gründete Baumann eine »Arbeitsgruppe Aufklärung« mit dem Ziel, »einfach alles über die Zecken« zu sammeln, »was wir rausfinden können«.

Neben der linken Szene scheinen aber auch die Gewerkschaften von den Nazis bedroht gewesen zu sein. So wollte Bauer seinem Schützling auch die Privatadresse eines DGB-Vertreters besorgen, »da der DGB Freiburg mit der Antifa zusammenarbeitet«.

Nicht nur bei der Feinderkennung, auch beim Bombenbau stand der Lörracher NPD-»Stütz­punkt­leiter« offenbar mit Rat und Tat zur Seite: Mal empfahl er bestimmte Internetversandstellen oder Chemikalien (»Treibstoff«), mal besorgte er das Material gleich selbst. Angst vor der Polizei hielt Bauer für überflüssig: »Ich habe schon einige Hausdurchsuchungen erlebt und alle Chemikalien zurückerhalten.« Angesichts solcher Aussagen kritisierte die Vereini­gung der Ver­folgten des Nazi­regimes – Bund der Anti­faschis­ten in einer Presseerklärung vom 30. August, Verfassungsschutz und Polizei seien »entweder ahnungslos oder schauten untätig zu, wie über Monate hinweg im NPD-Spektrum Bomben gebastelt werden«. Es handele sich um eine »neue Dimension von organisierter terroristischer Nazi-Gewalt«, mit der Landesinnenminister Heribert Rech (CDU) nicht fertig werde, weswegen er zurücktreten solle. Rech hatte sich wiederholt geweigert, die geheimdienstlichen V-Leute aus der NPD abzuziehen; das »Frühwarnsystem«, das er sich dadurch erhoffte, scheint versagt zu haben.

Deutlich besser funktionierte die Aufklärungsarbeit der Autonomen Antifa. Um sich gegen die Methoden der Nazijäger zu schützen, hat der JN-Landesverband in einer Anleitung, die der Jungle World vorliegt, dringend die Verschlüsselung von E-Mails empfohlen. Dabei sollten die »Kameraden« ihre »Namen bitte wahrheitsgetreu angeben«, um Chaos zu vermeiden: »Stellt Euch vor, Ihr habt 90 Schlüssel und jeder zweite heißt ›BloodHonour‹, ›Pöbelskin800‹ oder ›GayBasher14‹«.

Der NPD kam die Meldung über ihren terroristischen Nachwuchs wenige Tage vor den Landtagswahlen vom 30. August vermutlich eher ungelegen. Dabei hatte Baumann dem Landesvorsitzenden der JN, Neidlein, noch im Juni seine Mithilfe für den saarländischen Wahlkampf angeboten: »Also jeden Tag Städte und Dörfer abklappern usw., und zwar im Stechschritt.« Ob die Verhinderung eines rechtsextremistischen Bombenanschlags, vergleichbar mit der Größenordnung des Oktoberfestattentats von 1980, nun dazu führen könnte, dass die NPD beim zweiten Versuch doch verboten wird, ist ungewiss: Scheitern könnte auch ein erneutes Verbotsverfahren bekanntlich daran, dass zu viele Parteifunktionäre auf den Gehaltslisten der Geheimdienste stehen. Die Chance, dass wenigstens der Bombenfund nicht ganz so schnell vergessen wird, hat sich indessen erhöht: In der Sonderermittlungsgruppe »Chemie« sollen nun immerhin LKA-Fahnder die Lörracher Kriminalpolizei unterstützen.