Angriff auf Hamburger Davidwache: Augenzeugen widersprechen Darstellung der Polizei

Gefahrengebiet in Hamburg
Erstveröffentlicht: 
07.01.2014

Die Hamburger Polizei hat ein Gefahrengebiet eingerichtet: In bestimmten Stadtvierteln darf sie ohne Grund Menschen kontrollieren. Hintergrund ist vor allem die angebliche Attacke von Linksautonomen auf Beamte der Davidwache. Doch jetzt kommen Zweifel am Hergang des Angriffs auf.

 

Hamburg - Die Meldung, am Sonntag den 29. Dezember um 13:02 von der Polizei Hamburg verschickt, schockierte die Stadt: In der Nacht zuvor hätten vor der Davidwache im Stadtteil St. Pauli "u.a. mit St. Pauli-Schals vermummte Personen" Parolen gebrüllt wie "Scheißbullen - habt ihr immer noch nicht genug". Sie hätten mehrere Beamte, die aus der Wache kamen, "gezielt und unvermittelt mit Flaschenwürfen angegriffen". Einer der Polizisten habe "dabei" einen "Kiefer- und Nasenbruch sowie eine Gesichtsschnittverletzung" erlitten, "als ihm einer der Täter aus nächster Nähe einen Stein ins Gesichts schlug". Zudem sei einer Polizistin Pfefferspray in die Augen gesprüht worden, ein weiterer Beamte habe ein Bauchhämatom erlitten.

 

 

Politik und Polizei ordneten die Attacke auf die Davidwache dem linksautonomen Spektrum zu. Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch wurde in der Meldung mit den Worten zitiert: "Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ist völlig ungeeignet und kontraproduktiv."

 

Und die Behörden brachten die Attacke mit einem weiteren Angriff in Verbindung: In der Vorwoche waren Steine auf Fenster der Wache und Polizeiautos geworfen worden, am Vorabend der Großdemonstration, bei der es zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen dem sogenannten Schwarzen Block und der Polizei gekommen war.

 

Generalbundesanwalt befasst sich mit Attacke


Zwei Attacken auf Beamte, schwere Krawalle - für die Hamburger Polizei war die Lage bedrohlich genug, um zu einem drastischen Mittel zu greifen: Am 3. Januar richtete sie ein Gefahrengebiet ein, das sich über mehrere Stadtteile Hamburgs erstreckt.

 

Dort ist es den Beamten nun möglich, "relevante Personengruppen einschließlich ihrer mitgeführten Sachen" anlasslos zu überprüfen. Und das tun sie eifrig: Allein am vergangenen Wochenende wurden mehr als 400 Personen überprüft, in gut 90 Fällen wurden Aufenthaltsverbote erteilt. Es sind nicht wenige, die diese Einschränkung von Grundrechten für unverhältnismäßig halten.

 

Doch aus Sicht der Behörden machte insbesondere die Attacke auf die Davidwache deutlich, dass man der linksautonomen Gewalt nicht mehr mit konventionellen Mitteln Herr werden könne. Um dafür Verständnis in der Bevölkerung zu ernten, bedarf es vor allem eines: Vertrauen. Und das gerät allmählich ins Wanken. Es stellt sich die Frage: War der Angriff auf die Beamten tatsächlich eine konzertierte Tat von linken Militanten?

 

Die Hamburger Polizei musste inzwischen einräumen, dass die Attacke anders ablief, als ursprünglich von ihr dargestellt. Pressesprecher Mirko Streiber sagt, die Opfer der Attacke seien keine Beamte aus der Davidwache gewesen, sondern eine Streifenwagenbesatzung. Laut Streiber seien die drei Beamten des Weges gekommen und von der flüchtenden "Tätergruppe" angegriffen worden, die aus der Richtung Davidwache gekommen sei. Die Attacke auf die Polizisten habe sich nicht direkt vor der Davidwache, sondern etwa 200 Meter entfernt an der Ecke Hein-Hoyer-Straße und Seilerstraße abgespielt.

 

"Das sah für uns nach einer Pöbel-Szene aus"


Streiber bestätigte damit im Kern Angaben des Hamburger Szeneanwalts Andreas Beuth. Der hatte in einer Mitteilung erklärt, es habe "zu keinem Zeitpunkt Stein- oder Flaschenwürfe auf das Gebäude der Revierwache gegeben; erst recht nicht auf aus der Wache herauskommende PolizeibeamtInnen". Es sei "kein Beamter vor der Davidwache Ecke Reeperbahn/ Davidstraße durch einen Stein oder anderen gefährlichen Gegenstand verletzt worden".

 

Beuth, Anwalt der Roten Flora, sagte zu SPIEGEL ONLINE, seine Darstellung ginge auf Informationen von Mandanten zurück - eine Darstellung der tatsächlichen Geschehnisse vor der Davidwache könne er unter Berufung auf seine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nicht geben.

 

Beuth ist sicher keine unparteiliche Stimme in dieser Debatte und Hamburg kennt seit vielen Jahren die verbalen Kämpfe um die Deutungshoheit. Doch er ist nicht der einzige, der Zweifel äußert. Gegenüber SPIEGEL ONLINE beschreibt ein Augenzeuge (Name der Redaktion bekannt) die Geschehnisse an der Ecke Hein-Hoyer-Straße / Seilerstraße. Er sei an dem Abend gegen 23 Uhr zufällig mit einem Freund vorbeigekommen, als er Geschrei gehört habe. "Da standen etwa 20 Personen verstreut herum - soweit ich das gesehen habe, war keiner vermummt, sie trugen auch nicht schwarze Kleidung." Zwei Polizisten und die Personen hätten sich angeschrien, "das sah für uns nach einer Pöbel-Szene aus, wie sie auf dem Kiez schon mal vorkommt".

 

Die Gruppe habe sich dann in Richtung Norden zurückgezogen, Polizisten hätten sie langsam weitergetrieben. "Zu diesem Zeitpunkt war von den Polizisten offensichtlich niemand verletzt." Der Augenzeuge sagt, dass daraufhin aus der Davidwache "relativ viele Polizisten in Schutzkleidung" rausgekommen und in Mannschaftswagen gestiegen seien. "Wir haben noch gedacht: Oha, da liegen aber die Nerven blank."

 

Keine Videoaufzeichnungen


Eine bloße Pöbelei statt einer politisch motivierten Attacke? Ein anderer Augenzeuge berichtete der Webseite "publikative.org" von einer Gruppe von etwa 25 Personen, die weder vermummt noch wie eine organisierte Gruppe aufgetreten sei. Auch sei es vor der Davidwache zu keinen Stein- oder Flaschenwürfen gekommen. Die Gruppe habe lautstark Fußballgesänge angestimmt und sei an der Wache vorbeigelaufen.

 

 

Beamte aus der Wache hätten dann versucht, die Gruppe aufzuhalten. "Dabei sei ein Mitglied der Gruppe mitten auf der Reeperbahn von einem Polizisten zu Boden gebracht worden", so heißt es auf "publikative.org". "Dies habe wiederum eine rein verbale Auseinandersetzung nach sich gezogen, die zunächst zu Boden gebrachte Person sei aber wieder 'laufengelassen' worden. Erst kurze Zeit später sei dann der verletzte Beamte aus der Hein-Hoyer-Straße gekommen - und in die Davidwache gebracht worden."

 

Auf Nachfragen nach dem Tathergang während einer Sitzung des Innenausschusses am Montag verwiesen Vertreter der Polizei auf laufende Ermittlungen. Videoaufnahmen, die zur Aufklärung beitragen könnten, gebe es nicht.

 

Drei Tage nach dem Vorfall an der Davidwache hatte Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) noch von "kriminellen Chaoten" gesprochen und damit die Geschehnisse klar der linksextremistischen Szene zugeordnet. Im Innenausschuss am Montagabend erklärte Hamburgs Innensenator zu der Steinattacke auf den Polizisten, wegen derer inzwischen wegen eines versuchten Tötungsdeliktes ermittelt wird, es sei nicht entscheidend, ob der Angriff "die Einzeltat eines alkoholisierten Kiezbesuchers" sei - sie sei als Ausdruck einer zunehmenden Gewaltbereitschaft zu bewerten.